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the novel immensee

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TheProjectGutenbergEBookofImmensee,byTheodorW.Storm
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**eBooksReadableByBothHumansandByComputers,Since1971**
*****TheseeBooksWerePreparedByThousandsofVolunteers!*****
Title:Immensee
Author:TheodorW.Storm
ReleaseDate:October,2004[EBook#6651][Yes,wearemorethanoneyear
aheadofschedule][ThisfilewasfirstpostedonJanuary9,2003][Lastupdated:
May23,2015]
Edition:10
Language:German
***STARTOFTHEPROJECTGUTENBERGEBOOK,IMMENSEE***


DelphineLettau,CharlesFranks,andtheOnlineDistributedProofreading
Team.

IMMENSEE
VON


THEODORW.STORM

VORREDE
WirbefindenunsamAnfangeinerneuenÄra,derenhauptsächliches
KennzeichenhoffentlicheineallgemeineAnnäherungderNationenunter
einanderseinwird.ImmermehrwirdesalsNotwendigkeitempfunden,daßwir
unsgegenseitigbesserkennenundverstehenlernen.Darausergiebtsich,daßdas
ErlernenderfremdenSprachenimmereinewichtigereRollespielenwird;denn
soweitdieSprache,dieLiteraturunddieMusikinBetrachtkommen,kannman
mitvollemRechtbehaupten:fasestetabhostedoceri.
Alsowerdendiejenigen,welchesichmitderSpracheirgendeines
Nachbarvolkesvertrautmachenwollen,oderihrevorlängererZeiterworbenen
Kenntnisseschonteilweiseverlernthabensollten,dieseAusgabewillkommen
heißen,welchesieindenStandsetzenwird,derartigenSprachstudiendieZeitzu
widmen,überwelchesieimLaufedesTagesfürsolcheZweckeverfügen
können,ohneaufgroßeundschwereWörterbücherangewiesenzusein.
DieWahlderTextehatnichtnurihrliterarischerWertbeeinflußt,
sondernauchdieNützlichkeitihresWortschatzes,undgleicherweiseim
BezugaufdieÜbersetzungenwurdeesbezweckt,miteinemvornehmen
StildiemöglichsteWorttreuezuvereinigen.

EINLEITUNG


THEODORW.STORM,DichterundNovellist(1817-1888),stammteaus
Schleswig,ließsich1842alsAdvokatinseinerVaterstadtHusumnieder,verlor
aber1853als»Deutschgesinnter«seinAmt,undmußtesichnachDeutschland
wenden.Erst1864durfteernachHusumzurückkehren,woer1874zum
Oberamtsrichterbefördertwurde.
Schon1843machteersichalsLyrikerundRomantikerbekannt,nahmabererst

alsNovellisteinehervorragendeStellungein,undzwaralser1852mitder
ErzählungImmenseeaufsglücklichstedebütierte.
InderlangenReihevonphantasie-undgemütsreichenNovellen,diedarauf
folgten,undderenStoffmeistausdemländlichenundbürgerlichenKleinleben
seinernächstenUmgebungentnommenist,haternichtsgeschrieben,dasdiese
anmutigeErzählunganTiefeundZartheitderEmpfindungübertrifft;undistdie
deutscheLiteraturanNovellendichtungaußerordentlichreich,sozähltdoch
StormüberhauptnochheuteunterdenMeistern.

DERALTE
AneinemSpätherbstnachmittagegingeinalterwohlgekleideterMannlangsam
dieStraßehinab.ErschienvoneinemSpaziergangenachHause
zurückzukehren,dennseineSchnallenschuhe,dieeinervorübergegangenen
Modeangehörten,warenbestäubt.
DenlangenRohrstockmitgoldenemKnopftrugerunterdemArm;mitseinen
dunklenAugen,inwelchesichdieganzeverloreneJugendgerettetzuhaben
schien,undwelcheeigentümlichvondenschneeweißenHaarenabstachen,sah
erruhigumheroderindieStadthinab,welcheimAbendsonnenduftevorihm
lag.
ErschienfasteinFremder,dennvondenVorübergehendengrüßtenihnnur
wenige,obgleichmancherunwillkürlichindieseernstenAugenzusehen
gezwungenwurde.
EndlichstandervoreinemhohenGiebelhausestill,sahnocheinmalindieStadt
hinausundtratdannindieHausdiele.BeidemSchallderTürglockewurde
drinneninderStubevoneinemGuckfenster,welchesnachderDielehinausging,


dergrüneVorhangweggeschobenunddasGesichteineraltenFraudahinter
sichtbar.DerMannwinkteihrmitseinemRohrstock.
»NochkeinLicht!«sagteerineinemetwassüdlichenAkzent,unddie

HaushälterinließdenVorhangwiederfallen.
DerAltegingnunüberdieweiteHausdiele,durcheinenPesel,wogroße
eicheneSchränkemitPorzellanvasenandenWändenstanden;durchdie
gegenüberstehendeTürtraterineinenkleinenFlur,vonwoauseineenge
TreppezudenobernZimmerndesHinterhausesführte.Erstiegsielangsam
hinauf,schloßobeneineTüraufundtratdannineinmäßiggroßesZimmer.
Hierwaresheimlichundstill;dieeineWandwarfastmitRepositorienund
Bücherschränkenbedeckt,andenandernhingenBildervonMenschenund
Gegenden;voreinemTischmitgrünerDecke,aufdemeinzelneaufgeschlagene
Bücherumherlagen,standeinschwerfälligerLehnstuhlmitrotemSamtkissen.
NachdemderAlteHutundStockindieEckegestellthatte,setzteersichinden
LehnstuhlundschienmitgefaltetenHändenvonseinemSpaziergange
auszuruhen.Wieersosaß,wurdeesallmählichdunkler;endlichfielein
MondstrahldurchdieFensterscheibenaufdieGemäldeanderWand,undwie
derhelleStreiflangsamweiterrückte,folgtendieAugendesMannes
unwillkürlich.
NuntraterübereinkleinesBildinschlichtemschwarzemRahmen.»Elisabeth!«
sagtederAlteleise;undwieerdasWortgesprochen,wardieZeitverwandelt:er
warinseinerJugend.
*****
DIEKINDER
BaldtratdieanmutigeGestalteineskleinenMädchenszuihm.Siehieß
ElisabethundmochtefünfJahrezählen,erselbstwardoppeltsoalt.
UmdenHalstrugsieeinrotseidenesTüchelchen;dasließihrhübsch
zudenbraunenAugen.
»Reinhard!«riefsie,»wirhabenfrei,frei!denganzenTagkeine
Schule,undmorgenauchnicht.«


ReinhardstelltedieRechentafel,dieerschonuntermArmhatte,flinkhinterdie

Haustür,unddannliefenbeideKinderdurchsHausindenGartenunddurchdie
GartenpfortehinausaufdieWiese.DieunverhofftenFerienkamenihnen
herrlichzustatten.
ReinhardhattehiermitElisabethsHilfeeinHausausRasenstückenaufgeführt;
darinwolltensiedieSommerabendewohnen;aberesfehltenochdieBank.Nun
gingergleichandieArbeit;Nägel,HammerunddienötigenBretterwaren
schonbereit.
WährenddessengingElisabethandemWallentlangundsammelteden
ringförmigenSamenderwildenMalveinihreSchürze;davonwolltesiesich
KettenundHalsbändermachen;undalsReinhardendlichtrotzmancheskrumm
geschlagenenNagelsseineBankdennochzustandegebrachthatteundnun
wiederindieSonnehinaustrat,gingsieschonweitdavonamandernEndeder
Wiese.
»Elisabeth!«riefer,»Elisabeth!«unddakamsie,undihreLockenflogen.
»Komm,«sagteer,»nunistunserHausfertig.Dubistjaganzheißgeworden;
kommherein,wirwollenunsaufdieneueBanksetzen.Icherzähl'diretwas.«
DanngingensiebeidehineinundsetztensichaufdieneueBank.
ElisabethnahmihreRingelchenausderSchürzeundzogsieauflange
Bindfäden;Reinhardfinganzuerzählen:»Eswareneinmaldrei
Spinnfrauen—«[Fußnote:SofängteinwohlbekanntesMärchenvonden
GebrüdernGrimman.]
»Ach,«sagteElisabeth,»dasweißichjaauswendig;dumußtauchnichtimmer
dasselbeerzählen.«
DamußteReinharddieGeschichtevondendreiSpinnfrauensteckenlassen,und
stattdessenerzählteerdieGeschichtevondemarmenMann,derindie
Löwengrubegeworfenwar.
»NunwaresNacht,«sagteer,»weißtdu?ganzfinstere,unddieLöwen
schliefen.MitunterabergähntensieimSchlafundrecktendierotenZungenaus;
dannschaudertederMannundmeinte,daßderMorgenkomme.Dawarfesum
ihnheraufeinmaleinenhellenSchein,undalseraufsah,standeinEngelvor

ihm.DerwinkteihmmitderHandundgingdanngeradeindieFelsenhinein.«


Elisabethhatteaufmerksamzugehört.»EinEngel?«sagtesie:»Hatteerdenn
Flügel?«
»EsistnursoeineGeschichte,«antworteteReinhard;»esgibtjagarkeine
Engel.«
»Opfui,Reinhard!«sagtesieundsahihmstarrinsGesicht.
Alsersieaberfinsteranblickte,fragtesieihnzweifelnd:»Warumsagensiees
dennimmer?MutterundTanteundauchinderSchule?«
»Dasweißichnicht,«antworteteer.
»Aberdu,«sagteElisabeth,»gibtesdennauchkeineLöwen?«
»Löwen?ObesLöwengibt?InIndien;daspannendieGötzenpriestersievor
denWagenundfahrenmitihnendurchdieWüste.Wennichgroßbin,willich
einmalselberhin.Daistesvieltausendmalschöneralshierbeiuns;dagibtes
garkeinenWinter.Dumußtauchmitmir.Willstdu?«
»Ja,«sagteElisabeth;»aberMuttermußdannauchmit,unddeine
Mutterauch.«
»Nein,«sagteReinhard,»diesinddannzualt,diekönnennichtmit.«
»Ichdarfabernichtallein.«
»Dusollstschondürfen;duwirstdannwirklichmeineFrau,unddannhabendie
anderndirnichtszubefehlen.«
»AbermeineMutterwirdweinen.«
»Wirkommenjawieder,«sagteReinhardheftig;»sagesnurgeradeheraus,
willstdumitmirreisen?Sonstgeh'ichallein,unddannkommeichnimmer
wieder.«
DerKleinenkamdasWeinennahe.»MachnurnichtsoböseAugen,«sagtesie;
»ichwilljamitnachIndien.«
ReinhardfaßtesiemitausgelassenerFreudebeibeidenHändenundzogsie



hinausaufdieWiese.
»NachIndien,nachIndien!«sangerundschwenktesichmitihrimKreise,daß
ihrdasroteTüchelchenvomHalseflog.Dannaberließersieplötzlichlosund
sagteernst:
»Eswirddochnichtsdarauswerden;duhastkeineCourage.«
»Elisabeth!Reinhard!«riefesjetztvonderGartenpforte.»Hier!
Hier!«antwortetendieKinderundsprangenHandinHandnachHause.
*****
IMWALDE
SolebtendieKinderzusammen;siewarihmoftzustill,erwarihr
oftzuheftig,abersieließendeshalbnichtvoneinander;fastalle
Freistundenteiltensie:wintersindenbeschränktenZimmernihrer
Mütter,sommersinBuschundFeld.
AlsElisabetheinmalinReinhardsGegenwartvondemSchullehrergescholten
wurde,stießerseineTafelzornigaufdenTisch,umdenEiferdesMannesauf
sichzulenken.Eswurdenichtbemerkt.
AberReinhardverloralleAufmerksamkeitandengeographischenVorträgen;
stattdessenverfaßteereinlangesGedicht;darinverglichersichselbstmit
einemjungenAdler,denSchulmeistermiteinergrauenKrähe,Elisabethwardie
weißeTaube;derAdlergelobteandergrauenKräheRachezunehmen,sobald
ihmdieFlügelgewachsenseinwürden.
DemjungenDichterstandendieTränenindenAugen;erkamsichsehrerhaben
vor.AlsernachHausegekommenwar,wußteersicheinenkleinen
PergamentbandmitvielenweißenBlätternzuverschaffen;aufdieerstenSeiten
schriebermitsorgsamerHandseinerstesGedicht.
BalddaraufkamerineineandereSchule;hierschloßermancheneue
KameradschaftmitKnabenseinesAlters,aberseinVerkehrmitElisabethwurde
dadurchnichtgestört.VondenMärchen,welcheerihrsonsterzähltundwieder
erzählthatte,fingerjetztan,die,welcheihrambestengefallenhatten,



aufzuschreiben;dabeiwandelteihnoftdieLustan,etwasvonseineneigenen
Gedankenhineinzudichten;aber,erwußtenichtweshalb,erkonnteimmernicht
dazugelangen.
Soschriebersiegenauauf,wieersieselbergehörthatte.Danngaberdie
BlätteranElisabeth,diesieineinemSchubfachihrerSchatullesorgfältig
aufbewahrte;undesgewährteihmeineanmutigeBefriedigung,wennersie
mitunterabendsdieseGeschichtcheninseinerGegenwartausdenvonihm
geschriebenenHeftenihrerMuttervorlesenhörte.
SiebenJahrewarenvorüber.ReinhardsolltezuseinerweiternAusbildungdie
Stadtverlassen.ElisabethkonntesichnichtindenGedankenfinden,daßesnun
eineZeitganzohneReinhardgebenwerde.Esfreutesie,alserihreinesTages
sagte,erwerde,wiesonst,Märchenfürsieaufschreiben;erwollesieihrmitden
BriefenanseineMutterschicken;siemüsseihmdannwiederschreiben,wiesie
ihrgefallenhätten.
DieAbreiserückteheran;vorheraberkamnochmancherReiminden
Pergamentband.DasalleinwarfürElisabetheinGeheimnis,obgleichsiedie
VeranlassungzudemganzenBucheundzudenmeistenLiedernwar,welche
nachundnachfastdieHälftederweißenBlättergefüllthatten.
EswarimJuni;ReinhardsollteamandernTagereisen.Nunwollteman
nocheinmaleinenfestlichenTagzusammenbegehen.Dazuwurdeeine
LandpartienacheinerdernahegelegenenHolzungeningrößerer
Gesellschaftveranstaltet.
DerstundenlangeWegbisandenSaumdesWaldeswurdezuWagen
zurückgelegt;dannnahmmandieProviantkörbeherunterundmarschierte
weiter.EinTannengehölzmußtezuerstdurchwandertwerden;eswarkühlund
dämmerigundderBodenüberallmitfeinenNadelnbestreut.
NachhalbstündigemWandernkammanausdemTannendunkelineinefrische
Buchenwaldung;hierwaralleslichtundgrün;mitunterbracheinSonnenstrahl

durchdieblätterreichenZweige;einEichkätzchensprangüberihrenKöpfenvon
AstzuAst.
AufeinemPlatze,überwelchemuralteBuchenmitihrenKronenzueinem
durchsichtigenLaubgewölbezusammenwuchsen,machtedieGesellschaftHalt.
ElisabethsMutteröffneteeinenderKörbe;einalterHerrwarfsichzum


Proviantmeisterauf.
»Alleummichherum,ihrjungenVögel!«riefer,»undmerketgenau,wasich
euchzusagenhabe.ZumFrühstückerhältjetzteinjedervoneuchzweitrockene
Wecken;dieButteristzuHausegeblieben;dieZukostmußsicheinjederselber
suchen.EsstehengenugErdbeerenimWalde,dasheißt,fürden,dersiezu
findenweiß.Werungeschicktist,mußseinBrottrockenessen;sogehtesüberall
imLeben.HabtihrmeineRedebegriffen?«
»Jawohl!«riefendieJungen.
»Ja,seht,«sagtederAlte,»sieistabernochnichtzuEnde.WirAltenhabenuns
imLebenschongenugumhergetrieben;darumbleibenwirjetztzuHaus,das
heißt,hierunterdiesenbreitenBäumen,undschälendieKartoffelnundmachen
FeuerundrüstendieTafel,undwenndieUhrzwölfist,sosollenauchdieEier
gekochtwerden.
»DafürseidihrunsvoneurenErdbeerendieHälfteschuldig,damitwirauch
einenNachtischservierenkönnen.UndnungehtnachOstundWestundseid
ehrlich.«
DieJungenmachtenallerleischelmischeGesichter.
»Halt!«riefderalteHerrnocheinmal.»Dasbraucheicheuchwohlnichtzu
sagen,werkeinefindet,brauchtauchkeineabzuliefern;aberdasschreibteuch
wohlhintereurefeinenOhren,vonunsAltenbekommterauchnichts.Undnun
habtihrfürdiesenTagguteLehrengenug;wennihrnunnochErdbeerendazu
habt,sowerdetihrfürheuteschondurchsLebenkommen.«
DieJungenwarenderselbenMeinungundbegannensichpaarweiseaufdie

Fahrtzumachen.
»Komm,Elisabeth,«sagteReinhard,»ichweißeinenErdbeerenschlag;dusollst
keintrockenesBrotessen.«
ElisabethknüpftediegrünenBänderihresStrohhutszusammenundhingihn
überdenArm.»Sokomm,«sagtesie,»derKorbistfertig.«
DanngingensieindenWaldhinein,tieferundtiefer;durchfeuchte
Baumschatten,woallesstillwar,nurunsichtbarüberihnenindenLüftendas


GeschreiderFalken;dannwiederdurchdichtesGestrüpp,sodicht,daß
Reinhardvorangehenmußte,umeinenPfadzumachen,hiereinenZweigzu
knicken,dorteineRankebeiseitezubiegen.Baldaberhörteerhintersich
ElisabethseinenNamenrufen.Erwandtesichum.
»Reinhard!«riefsie,»wartedoch,Reinhard!«
Erkonntesienichtgewahrwerden;endlichsahersieineinigerEntfernungmit
denSträuchernkämpfen;ihrfeinesKöpfchenschwammnurkaumüberden
SpitzenderFarnkräuter.Nungingernocheinmalzurückundführtesiedurch
dasWirrnisderKräuterundStaudenaufeinenfreienPlatzhinaus,woblaue
FalterzwischendeneinsamenWaldblumenflatterten.
ReinhardstrichihrdiefeuchtenHaareausdemerhitztenGesichtchen;dann
wollteerihrdenStrohhutaufsetzen,undsiewollteesnichtleiden;aberdannbat
ersie,undnunließsieesdochgeschehen.
»WobleibendennaberdeineErdbeeren?«fragtesieendlich,indemsiestehen
bliebundeinentiefenAtemzugtat.
»Hierhabensiegestanden,«sagteer,»aberdieKrötensindunszuvorgekommen
oderdieMarderodervielleichtdieElfen.«
»Ja,«sagteElisabeth,»dieBlätterstehennochda;abersprichhiernichtvon
Elfen.Kommnur,ichbinnochgarnichtmüde;wirwollenweitersuchen.«
VorihnenwareinkleinerBach,jenseitswiederderWald.Reinhardhob
ElisabethaufseineArmeundtrugsiehinüber.NacheinerWeiletratensieaus

demschattigenLaubewiederineineweiteLichtunghinaus.
»HiermüssenErdbeerensein,«sagtedasMädchen,»esduftetsosüß.
SiegingensuchenddurchdensonnigenRaum;abersiefandenkeine.
»Nein,«sagteReinhard,»esistnurderDuftdesHeidekrautes.«
HimbeerbüscheundHülsendornstandenüberalldurcheinander,einstarker
GeruchvonHeidekräutern,welcheabwechselndmitkurzemGrasediefreien
StellendesBodensbedeckten,erfülltedieLuft.
»Hieristeseinsam,«sagteElisabeth;»womögendieandernsein?«


AndenRückweghatteReinhardnichtgedacht.
»Wartenur:woherkommtderWind?«sagteerundhobseineHandindie
Höhe.AbereskamkeinWind.
»Still,«sagteElisabeth,»michdünkt,ichhörtesiesprechen.Rufeeinmal
dahinunter.«
ReinhardriefdurchdiehohleHand.»Kommthierher!«
»Hierher!«riefeszurück.
»Sieantworteten!«sagteElisabethundklatschteindieHände.
»Nein,eswarnichts,eswarnurderWiderhall.«
ElisabethfaßteReinhardsHand.»Mirgraut!«sagtesie.
»Nein,«sagteReinhard,»dasmußesnicht.Hieristesprächtig.Setzdichdortin
denSchattenzwischendieKräuter.LaßunseineWeileausruhen;wirfindendie
andernschon.«
ElisabethsetztesichuntereineüberhängendeBucheundlauschteaufmerksam
nachallenSeiten;ReinhardsaßeinigeSchrittedavonaufeinemBaumstumpf
undsahschweigendnachihrhinüber.
DieSonnestandgeradeüberihnen;eswarglühendeMittagshitze;kleine
goldglänzende,stahlblaueFliegenstandenflügelschwingendinderLuft;rings
umsiehereinfeinesSchwirrenundSummen,undmanchmalhörtemantiefim
WaldedasHämmernderSpechteunddasKreischenderandernWaldvögel.

»Horch,«sagteElisabeth,»esläutet.«
»Wo?«fragteReinhard.
»Hinteruns.Hörstdu?EsistMittag.«
»DannliegthinterunsdieStadt,undwennwirindieserRichtunggerade
durchgehen,somüssenwirdieanderntreffen.«
SotratensieihrenRückwegan;dasErdbeerensuchenhattensieaufgegeben,


dennElisabethwarmüdegeworden.EndlichklangzwischendenBäumen
hindurchdasLachenderGesellschaft;dannsahensieaucheinweißesTucham
Bodenschimmern,daswardieTafel,unddaraufstandenErdbeereninHülleund
Fülle.
DeralteHerrhatteeineServietteimKnopflochundhieltdenJungendie
FortsetzungseinermoralischenReden,währendereifriganeinemBraten
herumtranchierte.
»DasinddieNachzügler,«riefendieJungen,alssieReinhardund
ElisabethdurchdieBäumekommensahen.
»Hierher!«riefderalteHerr,»Tücherausgeleert,Hüteumgekehrt!Nunzeigt
her,wasihrgefundenhabt.«
»HungerundDurst!«sagteReinhard.
»Wenn,dasallesist,«erwidertederAlteundhobihnendievolle
Schüsselentgegen,»somüßtihresauchbehalten.Ihrkenntdie
Abrede;hierwerdenkeineMüßiggängergefüttert.«
Endlichließersichaberdocherbitten,undnunwurdeTafelgehalten;dazu
schlugdieDrosselausdenWacholderbüschen.
SogingderTaghin.—Reinhardhatteaberdochetwasgefunden;wareneskeine
Erdbeeren,sowaresdochauchimWaldegewachsen.AlsernachHause
gekommenwar,schrieberinseinenaltenPergamentband:
HieranderBergeshalde
VerstummetganzderWind;

DieZweigehängennieder,
DaruntersitztdasKind
SiesitztimThymiane,
SiesitztinlauterDuft;
DieblauenFliegensummen
UndblitzendurchdieLuft.
EsstehtderWaldsoschweigend,
Sieschautsoklugdarein;


UmihrebraunenLocken
HinfließtderSonnenschein.
DerKuckucklachtvonferne,
EsgehtmirdurchdenSinn:
SiehatdiegoldnenAugen
DerWaldeskönigin.
SowarsienichtalleinseinSchützling,siewarihmauchderAusdruckfüralles
LieblicheundWunderbareseinesaufgehendenLebens.

DASTANDDASKINDAMWEGE
Weihnachtsabendkamheran.Eswarnochnachmittags,alsReinhardmitandern
StudentenimRatskeller[Fußnote:OderRathauskeller.InfastjedergroßenStadt
DeutschlandsistderRathauskellerineinSpeise-undBierhausverwandelt
worden.]amaltenEichentischzusammensaß.DieLampenandenWänden
warenangezündet,dennhieruntendämmerteesschon;aberdieGästewaren
sparsamversammelt,dieKellnerlehntenmüßigandenMauerpfeilern.
IneinemWinkeldesGewölbessaßeneinGeigenspielerundein
ZithermädchenmitfeinenzigeunerhaftenZügen;siehattenihre
InstrumenteaufdemSchoßliegenundschienenteilnahmslosvorsich
hinzusehen.

AmStudententischeknallteeinChampagnerpfropfen.»Trinke,meinböhmisch
Liebchen!«riefeinjungerMannvonjunkerhaftemÄußern,indemereinvolles
GlaszudemMädchenhinüberreichte.
»Ichmagnicht,«sagtesie,ohneihreStellungzuverändern.
»Sosinge!«riefderJunkerundwarfihreineSilbermünzeindenSchoß.Das
MädchenstrichsichlangsammitdenFingerndurchihrschwarzesHaar,
währendderGeigenspielerihrinsOhrflüsterte;abersiewarfdenKopfzurück
undstütztedasKinnaufihreZither.
»Fürdenspiel'ichnicht,«sagtesie.


ReinhardsprangmitdemGlaseinderHandaufundstelltesichvorsie.
»Waswillstdu?«fragtesietrotzig.
»DeineAugensehen.«
»Wasgeh'ndichmeineAugenan?«
Reinhardsahfunkelndaufsienieder.
»Ichweißwohl,siesindfalsch!«
SielegteihreWangeindieflacheHandundsahihnlauerndan.
ReinhardhobseinGlasandenMund.
»AufdeineschönensündhaftenAugen!«sagteerundtrank.
SielachteundwarfdenKopfherum.
»Gib!«sagtesie,undindemsieihreschwarzenAugenindieseinenheftete,
tranksielangsamdenRest.DanngriffsieeinenDreiklangundsangmittiefer
leidenschaftlicherStimme:
Heute,nurheute
Binichsoschön
Morgen,achmorgen
Mußallesvergeh'n!
NurdieseStunde
Bistdunochmein;

Sterben,achsterben
Sollichallein!
WährendderGeigenspielerinraschemTempodasNachspieleinsetzte,gesellte
sicheinneuerAnkömmlingzuderGruppe.
»Ichwolltedichabholen,Reinhard,«sagteer.»Duwarstschonfort;aberdas
Christkindwarbeidireingekehrt.«
»DasChristkind?«sagteReinhard,»daskommtnichtmehrzumir.«


»Eiwas!DeinganzesZimmerrochnachTannenbaumundbraunenKuchen.«
ReinhardsetztedasGlasausseinerHandundgriffnachseinerMütze.
»Waswillstdu?«fragtedasMädchen.
»Ichkommeschonwieder.«
SierunzeltedieStirn.»Bleib!«riefsieleiseundsahihnvertraulichan.
Reinhardzögerte.»Ichkannnicht,«sagteer.
SiestießihnlachendmitderFußspitze.»Geh!«sagtesie,»dutaugstnichts;ihr
taugtallemiteinandernichts.«Undwährendsiesichabwandte,stiegReinhard
langsamdieKellertreppehinauf.
DraußenaufderStraßewarestiefeDämmerung;erfühltediefrischeWinterluft
anseinerheißenStirn.HierunddafielderhelleScheineinesbrennenden
TannenbaumsausdenFenstern,dannundwannhörtemanvondrinnendas
GeräuschvonkleinenPfeifenundBlechtrompetenunddazwischenjubelnde
Kinderstimmen.
ScharenvonBettelkinderngingenvonHauszuHausoderstiegenaufdie
TreppengeländerundsuchtendurchdieFenstereinenBlickindieversagte
Herrlichkeitzugewinnen.MitunterwurdeaucheineTürplötzlichaufgerissen,
undscheltendeStimmentriebeneinenganzenSchwarmsolcherkleinenGäste
ausdemhellenHauseaufdiedunkleGassehinaus;anderswowurdeaufdem
HausflureinaltesWeihnachtsliedgesungen;eswarenklareMädchenstimmen
darunter.

Reinhardhörtesienicht,ergingraschanallemvorüber,auseinerStraßeindie
andere.AlseranseineWohnunggekommen,waresfastvölligdunkel
geworden;erstolpertedieTreppehinaufundtratinseineStube.
EinsüßerDuftschlugihmentgegen;dasheimelteihnan,dasrochwiezuHaus
derMutterWeihnachtsstube.MitzitternderHandzündeteerseinLichtan;dalag
einmächtigesPaketaufdemTisch,undalseresöffnete,fielendie
wohlbekanntenbraunenFestkuchenheraus;aufeinigenwarendie
AnfangsbuchstabenseinesNamensinZuckerausgestreut;daskonnteniemand
andersalsElisabethgetanhaben.


DannkameinPäckchenmitfeinergestickterWäschezumVorschein,
TücherundManschetten,zuletztBriefevonderMutterundElisabeth.
Reinhardöffnetezuerstdenletzteren;Elisabethschrieb:
»DieschönenZuckerbuchstabenkönnenDirwohlerzählen,werbeidenKuchen
mitgeholfenhat;dieselbePersonhatdieManschettenfürDichgestickt.Beiuns
wirdesnunamWeihnachtsabendsehrstillwerden;meineMutterstelltimmer
schonumhalbzehnihrSpinnradindieEcke;esistgarsoeinsamdiesenWinter,
woDunichthierbist.
»NunistauchvorigenSonntagderHänflinggestorben,denDumirgeschenkt
hattest;ichhabesehrgeweint,aberichhab'ihndochimmergutgewartet.
»Dersangsonstimmernachmittags,wenndieSonneaufseinBauerschien;Du
weißt,dieMutterhingsoofteinTuchüber,umihnzugeschweigen,wennerso
rechtausKräftensang.
»DaistesnunnochstillerinderKammer,nurdaßDeinalterFreundErichuns
jetztmitunterbesucht.Dusagtestunseinmal,ersäheseinembraunenÜberrock
ähnlich.Daranmußichnunimmerdenken,wennerzurTürhereinkommt,und
esistgarzukomisch;sagesabernichtzurMutter,siewirddannleicht
verdrießlich.
»Rat,wasichDeinerMutterzuWeihnachtenschenke!Durätstesnicht?Mich

selber!DerErichzeichnetmichinschwarzerKreide;ichhabeihmdreimal
sitzenmüssen,jedesmaleineganzeStunde.
»Eswarmirrechtzuwider,daßderfremdeMenschmeinGesichtsoauswendig
lernte.Ichwollteauchnicht,aberdieMutterredetemirzu;siesagte,eswürde
dergutenFrauWernereinegargroßeFreudemachen.
»AberDuhältstnichtWort,Reinhard.DuhastkeineMärchengeschickt.Ich
habeDichoftbeiDeinerMutterverklagt;siesagtdannimmer,Duhabestjetzt
mehrzutun,alssolcheKindereien.Ichglaub'esabernicht;esistwohlanders.«
NunlasReinhardauchdenBriefseinerMutter,undalserbeideBriefegelesen
undlangsamwiederzusammengefaltetundweggelegthatte,überfielihnein
unerbittlichesHeimweh.ErgingeineZeitlanginseinemZimmeraufundnieder:
ersprachleiseunddannhalbverständlichzusichselbst:


Erwärefastverirret
Undwußtenichthinaus;
DastanddasKindamWege
UndwinkteihmnachHaus.
DanntrateranseinPult,nahmeinigesGeldherausundgingwiederaufdie
Straßehinab.Hierwaresmittlerweilestillergeworden;dieWeihnachtsbäume
warenausgebrannt,dieUmzügederKinderhattenaufgehört.DerWindfegte
durchdieeinsamenStraßen;AlteundJungesaßeninihrenHäusern
familienweisezusammen;derzweiteAbschnittdesWeihnachtsabendshatte
begonnen.
AlsReinhardindieNähedesRatskellerskam,hörteerausderTiefeherauf
GeigenstrichunddenGesangdesZithermädchens;nunklingelteuntendie
Kellertür,undeinedunkleGestaltschwanktediebreite,matterleuchteteTreppe
herauf.
ReinhardtratindenHäuserschattenundgingdannraschvorüber.Nacheiner
WeileerreichteerdenerleuchtetenLadeneinesJuweliers,undnachdemerhier

einkleinesKreuzmitrotenKoralleneingehandelthatte,gingeraufdemselben
Wege,denergekommenwar,wiederzurück.
NichtweitvonseinerWohnungbemerkteereinkleines,inkläglicheLumpen
gehülltesMädchenaneinerhohenHaustürstehen,invergeblicherBemühung,
siezuöffnen.
»Sollichdirhelfen?«sagteer.
DasKinderwidertenichts,ließaberdieschwereTürklinkefahren.
ReinhardhatteschondieTürgeöffnet.
»Nein,«sagteer,»siekönntendichhinausjagen;kommmitmir!ichwilldir
Weihnachtskuchengeben.«
DannmachteerdieTürwiederzuundfaßtedaskleineMädchenander
Hand,dasstillschweigendmitihminseineWohnungging.
ErhattedasLichtbeimWeggehenbrennenlassen.
»HierhastduKuchen,«sagteerundgabihrdieHälfteseinesganzen


SchatzesinihreSchürze,nurkeinemitdenZuckerbuchstaben.
»NungehnachHausundgibdeinerMutterauchdavon.«
DasKindsahmiteinemscheuenBlickzuihmhinauf;esschiensolcher
Freundlichkeitungewohntundnichtsdarauferwidernzukönnen.
ReinhardmachtedieTüraufundleuchteteihr,undnunflogdieKleine
wieeinVogelmitihremKuchendieTreppehinabundzumHausehinaus.
ReinhardschürtedasFeuerinseinemOfenanundstelltedasbestaubte
TintenfaßaufseinenTisch;dannsetzteersichhinundschriebundschriebdie
ganzeNachtBriefeanseineMutter,anElisabeth.
DerRestderWeihnachtskuchenlagunberührtnebenihm;aberdieManschetten
vonElisabethhatteerangeknöpft,wassichgarwunderlichzuseinemweißen
Flausrockausnahm.Sosaßernoch,alsdieWintersonneaufdiegefrorenen
FensterscheibenfielundihmgegenüberimSpiegeleinblasses,ernstesAntlitz
zeigte.

*****
DAHEIM
AlsesOsterngewordenwar,reisteReinhardindieHeimat.AmMorgennach
seinerAnkunftgingerzuElisabeth.
»Wiegroßdugewordenbist,«sagteer,alsdasschöne,schmächtigeMädchen
ihmlächelndentgegenkam.Sieerrötete,abersieerwidertenichts;ihreHand,die
erbeimWillkommenindieseinegenommen,suchtesieihmsanftzuentziehen.
Ersahsiezweifelndan,dashattesiefrühernichtgetan;nunwares,alstrete
etwasFremdeszwischensie.
Dasbliebauch,alserschonlängerdagewesen,undalserTagfürTagimmer
wiedergekommenwar.Wennsiealleinzusammensaßen,entstandenPausen,die
ihmpeinlichwaren,unddenenerdannängstlichzuvorzukommensuchte.Um
währendderFerienzeiteinebestimmteUnterhaltungzuhaben,fingeran,
ElisabethinderBotanikzuunterrichten,womitersichindenerstenMonaten
seinesUniversitätslebensangelegentlichbeschäftigthatte.


Elisabeth,dieihminallemzufolgengewohntundüberdieslehrhaftwar,ging
bereitwilligdaraufein.NunwurdenmehrereMaleinderWocheExkursionenins
FeldoderindieHeidegemacht,undhattensiedannmittagsdiegrüne
BotanisierkapselvollKrautundBlumennachHausegebracht,sokamReinhard
einigeStundenspäterwieder,ummitElisabethdengemeinschaftlichenFundzu
teilen.
InsolcherAbsichttratereinesNachmittagsinsZimmer,alsElisabetham
FensterstandundeinvergoldetesVogelbauer,dasersonstdortnichtgesehen,
mitfrischemHühnerschwarmbesteckte.ImBauersaßeinKanarienvogel,der
mitdenFlügelnschlugundkreischendnachElisabethsFingerpickte.Sonsthatte
ReinhardsVogelandieserStellegehangen.
»HatmeinarmerHänflingsichnachseinemTodeineinenGoldfinken
verwandelt?«fragteerheiter.

»DaspflegendieHänflingenicht,«sagtedieMutter,welchespinnendim
Lehnstuhlsaß.»IhrFreundErichhatihnheut'MittagfürElisabethvonseinem
Hofehereingeschickt.«
»VonwelchemHofe?«
»DaswissenSienicht?«
»Wasdenn?«
»DaßErichseiteinemMonatdenzweitenHofseinesVatersamImmensee
[Fußnote:DerSeederImmen,d.h.derBienen.]angetretenhat?«
»AberSiehabenmirkeinWortdavongesagt.«
»Ei,«sagtedieMutter,»SiehabensichauchnochmitkeinemWortenachIhrem
Freundeerkundigt.Eristeingarlieber,verständigerjungerMann.«
DieMutterginghinaus,umdenKaffeezubesorgen;Elisabethhatte
ReinharddenRückenzugewandtundwarnochmitdemBauihrerkleinen
Laubebeschäftigt.
»Bitte,nureinkleinesWeilchen,«sagtesie;»gleichbinichfertig.«


DaReinhardwiderseineGewohnheitnichtantwortete,sowandtesiesichum.In
seinenAugenlageinplötzlicherAusdruckvonKummer,densieniedarin
gewahrthatte.
»Wasfehltdir,Reinhard?«fragtesie,indemsienahezuihmtrat.
»Mir?«sagteergedankenlosundließseineAugenträumerischindenihren
ruhen.
»Dusiehstsotraurigaus.«
»Elisabeth,«sagteer,»ichkanndengelben
Vogelnichtleiden.«
Siesahihnstaunendan,sieverstandihnnicht.»Dubistsosonderbar,«sagtesie.
ErnahmihrebeidenHände,diesieruhigindenseinenließ.Baldtrat
dieMutterwiederherein.NachdemKaffeesetztediesesichanihr
Spinnrad;ReinhardundElisabethgingeninsNebenzimmer,umihre

Pflanzenzuordnen.
NunwurdenStaubfädengezählt,BlätterundBlütensorgfältigausgebreitetund
vonjederArtzweiExemplarezumTrocknenzwischendieBlättereinesgroßen
Foliantengelegt.
EswarsonnigeNachmittagsstille;nurnebenanschnurrtederMutter
Spinnrad,undvonZeitzuZeitwurdeReinhardsgedämpfteStimme
gehört,wennerdieOrdnungenderKlassenderPflanzennannteoder
ElisabethsungeschickteAussprachederlateinischenNamenkorrigierte.
»MirfehltnochvonneulichdieMaiblume,«sagtesiejetzt,alsderganzeFund
bestimmtundgeordnetwar.
ReinhardzogeinenkleinenweißenPergamentbandausderTasche.»Hieristein
Maiblumenstengelfürdich,«sagteer,indemerdiehalbgetrocknetePflanze
herausnahm.
AlsElisabethdiebeschriebenenBlättersah,fragtesie:»HastduwiederMärchen
gedichtet?«


»EssindkeineMärchen,«antworteteerundreichteihrdasBuch.
EswarenlauterVerse,diemeistenfülltenhöchstenseineSeite.Elisabethwandte
einBlattnachdemandernum;sieschiennurdieÜberschriftenzulesen.»Als
sievomSchulmeistergescholtenwar.«»AlssiesichimWaldeverirrthatten.«
»MitdemOstermärchen.«»Alssiemirzumerstenmalgeschriebenhatte;«inder
Weiselautetenfastalle.
Reinhardblickteforschendzuihrhin,undindemsieimmerweiterblätterte,sah
er,wiezuletztaufihremklarenAntlitzeinzartesRothervorbrachundes
allmählichganzüberzog.ErwollteihreAugensehen,aberElisabethsahnicht
aufundlegtedasBuchamEndeschweigendvorihnhin.
»Gibmiresnichtsozurück!«sagteer.
SienahmeinbraunesReisausderBlechkapsel.»Ichwilldein
Lieblingskrauthineinlegen,«sagtesieundgabihmdasBuchinseine

Hände.
EndlichkamderletzteTagderFerienzeitundderMorgenderAbreise.
AufihreBitteerhieltElisabethvonderMutterdieErlaubnis,ihren
FreundandenPostwagenzubegleiten,dereinigeStraßenvonihrer
WohnungseineStationhatte.
AlssievordieHaustürtraten,gabReinhardihrdenArm;sogingerschweigend
nebendemschlankenMädchenher.JenähersieihremZielekamen,destomehr
waresihm,erhabeihr,eheeraufsolangeAbschiednehme,etwasNotwendiges
mitzuteilen,etwas,wovonallerWertundalleLieblichkeitseineskünftigen
Lebensabhänge,unddochkonnteersichdeserlösendenWortesnichtbewußt
werden.Dasängstigteihn;ergingimmerlangsamer.
»Dukommstzuspät,«sagtesie,»eshatschonzehngeschlagenaufSt.
Marien.«
Ergingaberdarumnichtschneller.Endlichsagteerstammelnd:
»Elisabeth,duwirstmichnuninzweiJahrengarnichtsehen—wirstdumich
wohlnochebensoliebhabenwiejetzt,wennichwiederdabin?«
SienickteundsahihmfreundlichinsGesicht.


»Ichhabedichauchverteidigt;«sagtesienacheinerPause.
»Mich?Gegenwenhattestduesnötig?«
»GegenmeineMutter.Wirsprachengesternabend,alsduweggegangenwarst,
nochlangeüberdich.Siemeinte,duseiestnichtmehrsogut,wiedugewesen.«
ReinhardschwiegeinenAugenblick;dannabernahmerihreHandindieseine,
undindemerihrernstinihreKinderaugenblickte,sagteer:
»Ichbinnochebensogut,wieichgewesenbin;glaubedudasnurfest!Glaubst
dues,Elisabeth?«
»Ja,«sagtesie.
ErließihreHandlosundgingraschmitihrdurchdieletzteStraße.Jenäherihm
derAbschiedkam,destofreudigerwarseinGesicht;ergingihrfastzuschnell.

»Washastdu,Reinhard?«fragtesie.
»IchhabeeinGeheimnis,einschönes!«sagteerundsahsiemitleuchtenden
Augenan.»WennichnachzweiJahrenwiederdabin,dannsollstdues
erfahren.«
MittlerweilehattensiedenPostwagenerreicht;eswarnochebenZeitgenug.
NocheinmalnahmReinhardihreHand.»Lebwohl!«sagteer,»lebwohl,
Elisabeth!Vergißesnicht!«
SieschütteltemitdemKopf.»Lebwohl!«sagtesie.Reinhardstieghinein,und
diePferdezogenan.AlsderWagenumdieStraßeneckerollte,sahernoch
einmalihreliebeGestalt,wiesielangsamdenWegzurückging.
*****
EINBRIEF
FastzweiJahrenachhersaßReinhardvorseinerLampezwischenBüchernund
PapiereninErwartungeinesFreundes,mitwelchemergemeinschaftliche
Studienübte.MankamdieTreppeherauf.»Herein!«EswardieWirtin.»Ein


BrieffürSie,HerrWerner!«Dannentferntesiesichwieder.
ReinhardhatteseitseinemBesuchinderHeimatnichtanElisabethgeschrieben
undvonihrkeinenBriefmehrerhalten.Auchdieserwarnichtvonihr;eswar
dieHandseinerMutter.
Reinhardbrachundlas,undbaldlaserfolgendes:
»InDeinemAlter,meinliebesKind,hatnochfastjedesJahrseineigenes
Gesicht:denndieJugendläßtsichnichtärmermachen.Hieristauchmanches
andersgeworden,wasDirwohlerstanwehtunwird,wennichDichsonstrecht
verstandenhabe.
»ErichhatsichgesternendlichdasJawortvonElisabethgeholt,nachdemerin
demletztenVierteljahrzweimalvergebensangefragthatte.Siehattesichimmer
nichtdazuentschließenkönnen;nunhatsieesendlichdochgetan;sieistauch
nochgarzujung.DieHochzeitwirdbaldsein,unddieMutterwirddannmit

ihnenfortgehen.«
*****
IMMENSEE
WiederumwarenJahrevorüber.—Aufeinemabwärtsführendenschattigen
WaldwegewanderteaneinemwarmenFrühlingsnachmittageeinjungerMann
mitkräftigem,gebräuntemAntlitz.
MitseinenernstendunkelnAugensahergespanntindieFerne,alserwarteer
endlicheineVeränderungdeseinförmigenWeges,diejedochimmernicht
eintretenwollte.EndlichkameinKarrenfuhrwerklangsamvonuntenherauf.
»Hollah!guterFreund!«riefderWandererdemnebengehendenBauerzu,
»geht'shierrechtnachImmensee?«
»Immergerad'aus,«antwortetederMann,undrückteanseinem
Rundhute.
»Hat'sdennnochweitdahin?«


»DerHerristdichtdavor.KeinehalbePfeif'Tabak,sohaben'sden
See;dasHerrenhausliegthartdaran.«
DerBauerfuhrvorüber;deranderegingeiligerunterdenBäumenentlang.Nach
einerViertelstundehörteihmzurLinkenplötzlichderSchattenauf;derWeg
führteaneinenAbhang,ausdemdieGipfelhundertjährigerEichennurkaum
hervorragten.
Übersiehinwegöffnetesicheineweite,sonnigeLandschaft.Tiefuntenlagder
See,ruhig,dunkelblau,fastringsumvongrünen,sonnenbeschienenenWäldern
umgeben;nuraneinerStelletratensieauseinanderundgewährteneinetiefe
Fernsicht,bisauchdiesedurchblaueBergegeschlossenwurde.
Quergegenüber,mittenindemgrünenLaubderWälder,lageswie
Schneedarüberher;daswarenblühendeObstbäume,unddaraushervor
aufdemhohenUfererhobsichdasHerrenhaus,weißmitrotenZiegeln.
EinStorchflogvomSchornsteinaufundkreistelangsamüberdem

Wasser.
»Immensee!«riefderWanderer.
Eswarfast,alshätteerjetztdasZielseinerReiseerreicht,dennerstand
unbeweglichundsahüberdieGipfelderBäumezuseinenFüßenhinüberans
andereUfer,wodasSpiegelbilddesHerrenhausesleiseschaukelndaufdem
Wasserschwamm.DannsetzteerplötzlichseinenWegfort.
EsgingjetztfaststeildenBerghinab,sodaßdieuntenstehenden
BäumewiederSchattengewährten,zugleichaberdieAussichtaufden
Seeverdeckten,dernurzuweilenzwischendenLückenderZweige
hindurchblitzte.
Baldgingeswiedersanftempor,undnunverschwandrechtsundlinksdie
Holzung;stattdessenstrecktensichdichtbelaubteWeinhügelamWegeentlang;
zubeidenSeitendesselbenstandenblühendeObstbäumevollsummender
wühlenderBienen.EinstattlicherManninbraunemÜberrockkamdem
Wandererentgegen.Alserihnfasterreichthatte,schwenkteerseineMützeund
riefmithellerStimme:
»Willkommen,willkommen,BruderReinhard!WillkommenaufGut
Immensee!«


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