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„Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“ ppt

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Fitzgerald Crain
„Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“
Fitzgerald Crain
unter Mitarbeit von
Barbara Sprecher
Nunzio Ballato
Manuel Crain
Sabine Derrer
„Ich geh ins Heim
und komme als
Einstein heraus“
Zur Wirksamkeit
der Heimerziehung
Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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<> abrufbar.

1. Aufl age 2012
Alle Rechte vorbehalten
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Lektorat: Dorothee Koch | Monika Mülhausen
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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN 978-3-531-18442-5
Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis



Vorwort 13

1 Einleitung 15
Mathias 15
Zur Geschichte der Heimerziehung 17
„Anstalt“ und „Heim“ in der Kritik 18
Psychoanalyse und Heimerziehung 19
Zur Situation heute 20
Zur Studie 20
Wirkungsanalysen 22
Verhaltensauffällig? Sozial gefährdet? Verhaltenskreativ? 23
Aufbau 24

2 Robert. Vorgeschichte, Heimbiographie und weitere Entwicklung 27
Vorgeschichte und Heimbiographie 27

Heimbiographie und nachfolgende Entwicklung aus der Sicht von
Robert 28
Diskussion 30

3 Das Schulheim als Teil von Roberts Lebenswelt 33
Das Schulheim 33
Das Schulheim in der Selbstdarstellung 35
Was war das Ziel der Arbeit im Schulheim? Wie sah das
pädagogische Konzept aus? 35
Mit welchen pädagogischen Mitteln wurde gearbeitet? 36
Zum zeitlichen Ablauf des Heimaufenthalts 37
Welche Voraussetzungen waren auf Seiten der Mitarbeitenden zu
erfüllen? 38
Leitbild, Konzept und konkreter Alltag 39

4 Zum Verhältnis von Theorie und Praxis 41
Psychologische Theorien in der pädagogischen Arbeit 42
Lerntheoretische und kognitive Betrachtungsweise 42
Systemtheoretische Überlegungen 44
6 Inhaltsverzeichnis
Eine biologisch-medizinische Betrachtungsweise 44
Ein psychodynamisches Verständnis menschlichen Verhaltens 45
Was haben psychodynamische Theorie und pädagogische Praxis
miteinander zu tun? 46
Eine psychodynamische Betrachtungsweise 47
Erster Aspekt: „Einzigartigkeit“ 47
Welches waren die Folgerungen für die Studie? 48
Zweiter Aspekt: „Geschichtlichkeit“ 49
Welches waren die Folgerungen für die Studie? 50
Dritter Aspekt: Die innere Welt 51

Welches waren die Folgerungen für die Studie? 52
Vierter Aspekt: Menschen entwickeln sich in Beziehungen 54
Beziehungen sind wichtig 54
Was ist unter „Beziehung“ zu verstehen? 54
„Beziehung“ hat mit Bindung zu tun 55
„Beziehung“ hat mit Anerkennung zu tun 55
„Beziehung“ hat mit Gegenseitigkeit zu tun 56
Beziehungen können schwierig sein: Formen der Abwehr 57
Welches waren die Folgerungen für die Studie? 58
Fünfter Aspekt: Autonomie, Eigenständigkeit und Selbstbehauptung 59
Welches waren die Folgerungen für die Studie? 61
Parallelen, Widersprüche und Gegensätze in Theorie und Praxis 61
Einzigartigkeit: Gleichheit und Differenz 62
Geschichtlichkeit: Gleichheit und Differenz 63
Innere Welt: Gleichheit und Differenz 63
Beziehungsaspekt: Gleichheit und Differenz 64
Autonomie: Gleichheit und Differenz 65
Schlussgedanken 66

5 Forschungsfragen 67
Das Ziel: Integration – Bewährung im Alltag 68
Psychodynamische Überlegungen 69
Wann war der Heimaufenthalt erfolgreich? 70
Der Eintritt ins Heim als konstruktive Zäsur 70
Der Jugendliche entwickelt sich in seiner Persönlichkeit 71
Die Zeit nach dem Austritt wird vorbereitet 71
Der Heimaufenthalt wird auf konstruktive Weise beendet 72
Wovon könnten „Erfolg“ oder „Misserfolg“ abhängig sein? 72
Faktor „Jugendlicher“ 72
Faktor „Schulheim“ 73

Inhaltsverzeichnis 7
Faktor „Aufenthaltsdauer“ 73
Faktor „Kooperation mit den Angehörigen“ 73
Faktor „Peergroup“ 74
Faktor „rechtliche Grundlage“ 74
Weitere Faktoren 75
Es könnte auch anders sein 75

6 Forschungskonzept 77
Was kennzeichnet qualitative Forschung? 77
Die Objekte der Forschung sind Subjekte 77
Qualitative sozialwissenschaftliche Forschung ist explizit interaktiv 78
Zur Offenheit des Forschungsprozesses 79
Prozesshaftigkeit und Geschichtlichkeit können nachgezeichnet
werden 79
Zum Aspekt der Einzigartigkeit 80
Zum Aspekt der inneren Welt 80
Zum Aspekt der Komplexität menschlichen Verhaltens 81
Zu Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Forschung 81
Das Konzept der Durchführung 82
Schwerpunkte der Studie 82
Die Verlaufsanalyse 82
Die mündliche Nachbefragung 83
Das Konzept der Auswertung 84
Die Verlaufsanalyse 84
Das Interview: Inhaltliche Analyse 85
Das Interview: Aspekt der Kohärenz 85
Das Interview: Aspekt der „reflexiven Kompetenz“ 85
„Figuren der Entwicklung“ 86
Selbstreflexion und Selbstkontrolle 87

Der Forschungsprozess 88
Beobachtungen bei der Analyse der schriftlichen Unterlagen 88
Beobachtungen bei der Durchführung der Interviews 88
Das Interview als soziale Situation 89
Das Interview als Entwicklungsprozess 89

7 „Figuren der Veränderung während des Heimaufenthalts“ 91
Fakten zum Heimaufenthalt 91
Eintrittsalter der Jugendlichen 91
Austrittsalter der Jugendlichen 92
Aufenthaltsdauer der Jugendlichen 92
8 Inhaltsverzeichnis
Anzahl der Jugendlichen, welche die Schule während der Heimzeit
beendeten 93
Anzahl der regulären Austritte 93
Nach dem Austritt: Übertritte in eine andere Form ausserfamiliärer
Betreuung 93
„Figuren der Veränderung während des Heimaufenthalts“ 94
Erste „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“:
Marcel 95
Diskussion 97
Zweite „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“:
Edgar 99
Diskussion 101
Dritte „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“:
Yanik 102
Diskussion 104
Vierte „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“:
Elias 105
Diskussion 106

Vier Beispiele: Repräsentativ für die Vielfalt der
Heimbiographien? 108
Erste „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“ 108
Zweite „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“ 109
Dritte „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“ 111
Vierte „Figur der Veränderung während des Heimaufenthalts“ 112
Zusammenfassung 112

8 Analyse der „Figuren der Veränderung“ 115
„Verhaltensauffällige Jugendliche“ 115
Theoretische Überlegungen 115
Unsere Daten 117
Der Aspekt der Verhaltensauffälligkeit und die Entwicklung im
Schulheim 118
Der Jugendliche und seine Angehörigen 119
Theoretische Überlegungen 119
Von einer behavioristischen zu einer psychodynamischen und
systemischen Perspektive 119
Der „unsichtbare Vater“ 120
Die „symbiotische Mutter-Kind-Beziehung“ oder die Mutter,
die kein Subjekt ist 122
Unsere Daten 123
Inhaltsverzeichnis 9
Die intakte und die „intakte“ Familie 124
Vater-Sohn-Beziehungen 125
Mutter-Sohn-Beziehungen 126
Schlussgedanken 128
Familiäre Beziehungen und die Entwicklung im Schulheim 129
Zur Frage der Kooperation zwischen den Angehörigen und dem
Schulheim 131

Theoretische Überlegungen 131
Unsere Daten 132
Der Aspekt der Kooperation und die Entwicklung im Schulheim 134
Zur Bedeutung von vorgängigen Fremdplatzierungen und
Bindungsverlust 136
Theoretische Überlegungen 136
Unsere Daten 136
Frühere Fremdplatzierungen und die Entwicklung im Schulheim 137
Migration und Fremdheit 139
Theoretische Überlegungen 139
Unsere Daten 140
Migration, Fremd-Sein und die Entwicklung im Schulheim 143
Peergroup 144
Theoretische Überlegungen 144
Unsere Daten 145
Die Bedeutung der Peergroup und die Entwicklung im Schulheim 146
Weitere Einflussfaktoren 147
Der Faktor Aufenthaltsdauer 149
Schlussdiskussion 149
Zusammenfassung 149
Das Heim: Eine noch wenig bekannte Einflussgrösse 152

9 „Figuren der Entwicklung“ 155
„Figuren der Entwicklung“ 156
Erste „Figur der Entwicklung“: gelingende Integration nach
erfolgreichem Heimaufenthalt 157
Ein erstes Fallbeispiel: Timo 157
Diskussion 160
Ein zweites Fallbeispiel: David 162
Diskussion 164

Ein drittes Fallbeispiel: Louis 165
Diskussion 167
Die erste „Figur der Entwicklung“ im Überblick 168
10 Inhaltsverzeichnis
Zweite „Figur der Entwicklung“: gelingende Integration nach
unmotiviertem Heimaufenthalt 171
Ein Fallbeispiel: Colin 171
Diskussion 173
Die zweite „Figur der Entwicklung“ im Überblick 174
Dritte „Figur der Entwicklung“: gelingende Integration nach
krisenhaftem Austritt 175
Ein Fallbeispiel: Zidane 175
Diskussion 177
Die dritte „Figur der Entwicklung“ im Überblick 179
Vierte „Figur der Entwicklung“: prekäre Integration nach
erfolgreichem Heimaufenthalt 180
Ein Fallbeispiel: Thomas 180
Diskussion 183
Die vierte „Figur der Entwicklung“ im Überblick 183
Fünfte „Figur der Entwicklung“: prekäre Integration nach
unmotiviertem Heimaufenthalt 184
Ein Fallbeispiel: Pascal 184
Diskussion 186
Sechste „Figur der Entwicklung“: prekäre Integration nach
krisenhaftem Austritt 187
Ein Fallbeispiel Carol 187
Diskussion 190
„Figuren der Entwicklung“: Beispiele unsicherer Zuordnung 191
Ein Fallbeispiel: Noah 191
Diskussion 193

Überblick über die Biographien, die schwer zuzuordnen sind 194

10 Warum gelang oder warum scheiterte die Integration? 197
Welche Bedeutung hatten Autonomie beziehungsweise
Selbstwirksamkeit? 198
Die Zeit vor dem Heimeintritt 199
Der Heimeintritt 199
Der Heimaufenthalt 200
Die Situation zur Zeit des Interviews 201
Zusammenfassung 202
Welchen Einfluss hatten aktuelle Umweltfaktoren? 203
Berufliche Bewährung als Faktor der Stabilität 203
Familie, Partnerschaften als Faktoren der Stabilität 204
Freundschaften als Faktoren der Stabilität 204
Inhaltsverzeichnis 11
Psychotherapie und Betreuung als Faktoren der Stabilität 205
Zusammenfassung 206
Welche Bedeutung besass die Beziehung zu den Angehörigen? 206
Ein erstes Muster: Befriedigende Beziehung zwischen Ehemaligen
und Angehörigen 207
Ein zweites Muster: Emotionale Distanzierung 209
Ein drittes Muster: Verstrickung 210
Ehemalige und ihre Angehörigen: Schwierige Zuordnung 211
Zusammenfassung 212
Welche Bedeutung hatte die Heimzeit im Erleben der Ehemaligen? 213
Heimeintritt; die ersten Tage des Heimaufenthalts 213
Die ersten Wochen und Monate 214
Beziehungen zu anderen Jugendlichen in Wohngruppe und
Schulklasse 215
Beziehungen zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Schulheims 215

Ambulante Therapien 217
Beziehungen zu Behörden 218
Wohlbefinden oder Unglücklichsein: Das Grundgefühl in der
Erinnerung 218
Stigmatisiert? 219
Die Phase des Austritts, die Zeit nach dem Austritt 219
„Subjektive Theorie“: Zur Wirkung des Heimaufenthalts 220
Zur Bedeutung heute 223
Zusammenfassung 224
Schlussdiskussion 226

11 Heimerziehung als Chance? 229
Das Schulheim: ein Überblick 229
Das Schulheim in seiner inneren Struktur 229
Macht und Ohnmacht unter den Jugendlichen 232
Zum Verhältnis von Institution und Angehörigen 232
Das Schulheim als „haltende Umwelt“ 234
Was das Schulheim leisten konnte – und was nicht 234
Das Schulheim als Ort der Persönlichkeitsentwicklung? 235
Das Schulheim als Ort schulischer Fortschritte? 237
Das Schulheim als Ort, der eine delinquente Entwicklung unterbrach? . 238
Das Schulheim als Ort der Entlastung von familiären
Schwierigkeiten? 239
Das Schulheim als Ort der Stigmatisierung? 240
Heimverlauf damals und Bewährung heute 241
12 Inhaltsverzeichnis
Erste „Figur der Veränderung“ und aktuelle Bewährung 242
Zweite „Figur der Veränderung“ und aktuelle Bewährung 244
Dritte „Figur der Veränderung“ und aktuelle Bewährung 245
Vierte „Figur der Veränderung“ und aktuelle Bewährung 247

Schlussdiskussion 247
Ermöglichte der Heimaufenthalt eine sinnvolle Zäsur? 247
War es von Bedeutung, ob sich der Jugendliche in seiner
Persönlichkeit entwickelte? 248
Spielte die Dauer des Heimaufenthalts eine Rolle? 249
War es bedeutsam, dass der Heimaufenthalt auf konstruktive
Weise beendet wurde? 250
Konnten wichtige Voraussetzungen für eine zukünftige
Bewährung geschaffen werden? 250
War die Kooperation zwischen Angehörigen und Schulheim
entscheidend? 251
War die Heimerziehung nachhaltig wirksam? 252

12 Wohin entwickelt sich die Heimerziehung? 253
Zum bildungspolitischen Umfeld 254
Zur gesellschaftlichen und ökonomischen Situation 254
Sozialpsychologische Überlegungen 255
Welches sind mögliche Konsequenzen für Pädagogik, Sozial-
und Sonderpädagogik? 256
Die Ökonomie bestimmt 256
Technokratische Tendenzen könnten zunehmen 257
Erziehung könnte repressiver werden 257
Zum Aspekt der Ausbildung in den Sozial-
und Erziehungswissenschaften 258
Psychodynamische Überlegungen 258
Heimerziehung unter dem Einfluss ökonomischer und
technokratischer Tendenzen 258
Was geschieht, wenn die Heimerziehung repressiver wird? 261
Das Heim als Ort von Bildung und Kultur 262
In welche Richtung könnte weiter gedacht werden? 262

Überlegungen zur Ausbildung 263
Schlussbemerkungen 264

Literaturverzeichnis 265

Autorinnen und Autoren 273
Vorwort 13
Vorwort


Vorwort
Vorwort


Die Geschichte der vorliegenden Einzelfallstudie über mögliche Wirkungen der
Heimerziehung begann im Jahr 2005. Ich hatte von 1972 an als Psychologe und
Erziehungsberater in verschiedenen Kinder- und Schulheimen im Raum der
Nordwestschweiz gearbeitet. 1980 erhielt ich einen Lehrauftrag am Institut für
Spezielle Pädagogik und Psychologie der Universität Basel, wenig später eine
feste Anstellung. Die Tätigkeit als Dozent für pädagogische Psychologie – ver-
antwortlich für die Ausbildung von schulischen Heilpädagoginnen und Heilpä-
dagogen, von Logopädinnen, Psychomotoriktherapeutinnen und heilpädagogi-
schen Früherzieherinnen – wurde zu meiner Hauptbeschäftigung, ohne dass ich
die praktische Tätigkeit als Heimpsychologe ganz aufgab. Während mehr als 25
Jahren arbeitete ich unter anderem mit einem kleineren Teilzeitpensum im
Schulheim Schillingsrain bei Liestal (Baselland). Im Jahr 2008 ging ich als
Hochschuldozent in Rente; im Sommer 2009 beendete ich meine Arbeit als
Heimpsychologe – zum gleichen Zeitpunkt, in dem der Heimleiter Kurt Lirgg
und seine Frau Edith Lirgg nach mehr als dreissigjähriger Tätigkeit pensioniert
wurden.

Nach langen Jahren praktischer Erfahrung als Erziehungsberater stellte sich
die Frage: Was hatte die erzieherische Arbeit im Schulheim und was hatte der
Unterricht in der internen Schule kurz-, mittel- und langfristig bewirkt? 2005
entschloss ich mich, dieser Frage systematisch nachzugehen. Zusammen mit drei
Studierenden der schulischen Heilpädagogik – Sabine Derrer, Barbara Sprecher
und Nunzio Ballato – begann ich die Untersuchung. Eine erste Phase wurde mit
der Masterarbeit der drei Studierenden abgeschlossen. Sabine Derrer beendete in
der Folge ihre Mitarbeit; Barbara Sprecher und Nunzio Ballato blieben als For-
scherin und Forscher über ihren Hochschulabschluss hinaus dabei. Neu kam
Manuel Crain, Student der Soziologie und der Gesellschaftswissenschaften,
hinzu. Die vorliegende Studie ist das Ergebnis einer gelungenen und anregenden
Zusammenarbeit über mehrere Jahre hinweg. Den vier Forscherinnen und For-
schern gilt mein besonderer Dank.
Es war nicht selbstverständlich, dass die Heimleitung und der Stiftungsrat
die Untersuchung begrüssten. Man muss einen auch kritischen Blick von aussen
zulassen; man muss sich in die Karten schauen lassen. Der Heimleiter Kurt Lirgg
stand dem Forschungsprojekt von Anfang an offen gegenüber; er setzte sich

14 Vorwort
dafür ein, dass der Stiftungsrat einen Unterstützungsbetrag bewilligte. Kurt und
Edith Lirgg halfen zusammen mit der Sekretärin Monika Mevoli beim Zusam-
mentragen wichtiger Heimdaten und bei der Suche nach den Wohnadressen der
Ehemaligen; Kurt Lirgg motivierte junge Männer bei einem Ehemaligentreffen
im Schulheim dazu, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Unser Dank
geht auch an Kurt und Edith Lirgg, Monika Mevoli und die Mitglieder des Stif-
tungsrates.
Eine grosszügige finanzielle Unterstützung erfuhr die Studie durch die Stif-
tung „Institut für Sozialpädagogik und Sozialfürsorge“ Basel.
Unser Dank gilt nicht zuletzt jenen, die den Akt des Forschens und Schrei-
bens mit Interesse begleitet haben. Gerhard Schaffner setzte sich mit seinem

grossen Fachwissen immer wieder mit den inhaltlichen Schlussfolgerungen und
dem Text auseinander. Ich verdanke seinem kritischen und oft skeptischen Nach-
fragen sehr viel. Auch Manuel Crain hat mit seinen vielfältigen Anregungen und
indem er den gesamten Text mehrmals durchgearbeitet hat, viel dazu beigetra-
gen, dass das Buch seine vorliegende Form erhielt. Mein Dank geht auch an
Nico Vital und René Kissling vom Kinderheim Maiezyt in Wabern bei Bern, die
von ihren langjährigen Erfahrungen als Heimleiter und Psychologen her wertvol-
le Rückmeldungen gaben. Ein besonderer Dank geht schliesslich an Lena Froi-
devaux, die den Text auf seine sprachliche Qualität hin überprüfte.
Brigitte von Arx, Laurine Froidevaux, Kurt Füglister, Erich Otto Graf, Sos-
hya Kaufmann Crain, Willi Schneider und Linda Stibler lasen den Text ganz
oder ausschnittweise durch. Mit meiner Frau Soshya – Heilpädagogin und Schul-
leiterin – hatte ich immer wieder Gelegenheit, eine Debatte über Integration und
Separation zu führen, von der ich profitierte – gerade weil unsere Haltung
manchmal unterschiedlich war. Im Forschungskolloquium von Ueli Mäder im
Institut für Soziologie der Universität Basel konnte ich das Forschungskonzept
vorstellen und zur Diskussion stellen. Sie alle haben mit ihren Gedanken und
Vorschlägen einen unschätzbaren Beitrag geleistet.
Ganz besonders danke ich der Lektorin Monika Mülhausen vom Verlag für
Sozialwissenschaften in Wiesbaden für die engagierte und kompetente Beglei-
tung.
Zuallerletzt ist den Ehemaligen des Schulheims zu danken, die sich für ein
Gespräch über ihre Heimbiographie und die Zeit nach dem Austritt zur Verfü-
gung gestellt haben. Ohne ihre Offenheit und ihr Expertentum im Hinblick auf
die Zeit damals wäre diese Untersuchung nicht möglich gewesen. Das Buch ist
ihnen und auch M. E. gewidmet, der seine Einwilligung gab, eine persönliche
Aussage als Titel des Buches verwenden zu dürfen.


1 Einleitung 15

1 Einleitung

1 Einleitung
„Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“



Das Wort „Heim“ weckt bei vielen Menschen widersprüchliche Assoziationen.
„Heim“ ist in den Begriffen „daheim“ und „Heimat“ enthalten. Man verbindet
Vertrautheit, Geborgenheit und ein emotionales Zuhause-Sein damit. Leben
Kinder und Jugendliche aber „im Heim“ oder „kommen sie ins Heim“, so bedeu-
tet es, dass sie in die Fremde gehen. Sie gehen dorthin, wo man gerade nicht
daheim ist. Dieses „Ins-Heim-Gehen“ ist meist nicht freiwillig. Das Heim als
Erziehungsheim steht für Zwang, Einschränkung, Wegnahme, vielleicht behörd-
liche Willkür. Das Heim ist nicht nur ein Ort in der Fremde. Der Begriff „Heim“
steht auch für Entfremdung.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Erziehungs- oder Schulheim bis
heute oft mit „Strafe“ verknüpft. Noch immer drohen Eltern den Kindern damit,
dass sie für ein Fehlverhalten „ins Heim“ kommen. Auch heute denken Viele
beim Begriff „Heim“ zugleich an emotionale Vernachlässigung. Dieses öffentli-
che Bild ist kein Zufall. Lange fehlte in kaum einem Medienbericht über den
Prozess eines Straftäters der Hinweis auf eine Heimkarriere. In Theaterstücken
mit Titeln wie „Revolte im Erziehungsheim“ oder „Alptraum Erziehungsheim“
wurde das Heim als Ort der Erniedrigung und Repression vorgestellt. Der
Schweizer Schriftsteller Loosli (2006) schilderte eindrücklich seine Erfahrungen,
die er nacheinander in einem Waisen-, einem Armenhaus, in einer Besserungs-
anstalt und schliesslich in der Zwangserziehungsanstalt Trachselwald am Ende
des 19. Jahrhunderts gemacht hatte. Honegger (2005) beschrieb im autobiogra-
phischen Roman „Die Fertigmacher“ Kindheit und Jugendzeit in den 30er und
frühen 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, die er in einem Kinderheim, als Ver-

dingkind und später als Insasse der Arbeitserziehungsanstalt in Uitikon bei Zü-
rich verbracht hatte. Nur allzu oft waren Heime Orte des Missbrauchs, der Un-
terdrückung und sadistischer Erziehungspraktiken.


Mathias

Wie steht es heute? Nehmen wir ein Beispiel aus dem Beginn des 21. Jahrhun-
derts. Im Antrag auf Sonderschulung im Rahmen eines Heims hiess es, dass
Mathias von seinem Schuleintritt an die Lehrkräfte „über Gebühr“ beschäftigt

F. Crain, „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“,
DOI 10.1007/978-3-531-94227-8_1,
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
16 „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“
habe; bereits in der Einführungsklasse habe man eine zweite Sonderpädagogin
anstellen müssen, damit ein „vernünftiger“ Unterricht möglich wurde. Der Be-
such der Oberstufe innerhalb der öffentlichen Schule könne nicht verantwortet
werden. Leistungsmässig sei Mathias als sehr schwacher Schüler einzustufen.
Mit knapp 14 Jahren trat er ins Schulheim Schillingsrain ein. Es handelte sich
um eine Institution für verhaltensauffällige männliche Jugendliche zwischen 12
und 20 Jahren, mit interner Schule, vier Wohngruppen und einer Lehrlingsgrup-
pe. Das Schulheim, zehn Zugminuten von Basel entfernt gelegen, wird im 3.
Kapitel näher beschrieben.
Der Einstieg von Mathias war unproblematisch. Er wirkte gesellig, schien
sich wohl zu fühlen, lachte viel und war von Anfang an beliebt. Er erzählte le-
bendig und mit viel Phantasie, ohne Phantasie und Realität zu vermischen. Er
war feinfühlig anderen Menschen gegenüber und begegnete den Erwachsenen
offen und respektvoll, ohne unterwürfig zu sein. In einem ersten Gespräch, das
zwischen den Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Wohngruppe, der

Lehrerin, dem Heimleiter und dem Psychologen geführt wurde, erschien Mathias
als ein für sein Alter überdurchschnittlich reifer Jugendlicher. Manchmal brauste
er auf, wenn er sich von anderen gestört fühlte oder wenn ihm jemand ungefragt
etwas weggenommen hatte. Manchmal war er unsicher, wenn er in der Schule
mit einer neuen Aufgabe konfrontiert wurde. Aber das waren bloss Kleinigkei-
ten, die man vernachlässigen konnte. Vor dem Heimeintritt hatte er die Etikette
„verhaltensauffällig“. Im Heim vermittelte Mathias den Eindruck eines jungen
Menschen, der sich in seiner Haut wohl fühlte, mit anderen Menschen lebendige
Beziehungen aufbauen konnte, Humor hatte und keineswegs verhaltensauffällig
war.
Aber der erste Eindruck kann täuschen. In den ersten Wochen und Monaten
nach dem Eintritt machen manche Jugendliche einen unkomplizierten Eindruck.
Sie fügen sich leicht in die Gruppe der anderen Jugendlichen ein. Sie treten den
Erwachsenen gegenüber respektvoll auf, passen sich gut an und erledigen ihre
Aufgaben zufrieden stellend. Mit zunehmender Dauer kann sich das Bild verän-
dern und die erzieherische Arbeit wird schwieriger. Bei Mathias war dies nicht
der Fall. Nach knapp vier Jahren Aufenthalt im Heim schloss er die Schule er-
folgreich ab. Im zweimal jährlich stattfindenden Austausch zwischen Wohn-
gruppe, Schule, Heimleitung, Behörde und dem Heimpsychologen vermittelte er
das Bild eines Jugendlichen, der die Möglichkeiten der Wohngruppe und der
Schule nutzte.
Nach den Schnuppertagen im Schulheim und unmittelbar vor dem Eintritt
vertraute Mathias der Sozialarbeiterin der einweisenden Behörde mit einem
Schuss Selbstironie und Humor an, er „werde hier im Heim zum Einstein“ und
gehe dann wieder nach Hause. In seinem Fall wurde das Schulheim weder zu
1 Einleitung 17
seinem eigentlichen Zuhause noch war es ein Ort, den er als fremd und entfrem-
dend erlebte. Mathias war ein Jugendlicher, der seine Chance packen wollte. Er
nahm den Heimaufenthalt zumindest teilweise als selbstbestimmt an.
Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass Entwicklungen wie jene von

Mathias den Normalfall darstellen. Es soll jedoch gezeigt werden, dass die Le-
benswelt „Heim“ als Ort verstanden werden kann, der Lebenschancen zur Ver-
fügung stellt, die vom Jugendlichen ergriffen oder nicht ergriffen werden. Von
der Lebenswelt „Heim“ sprechen wir darum, weil diese weit mehr als das Heim
im engeren Sinn umfasst. Zur Lebenswelt gehören die Angehörigen, die Freun-
dinnen und Freunde ausserhalb oder Mitglieder von Vereinen, welche die Ju-
gendlichen vom Heim aus besuchen. Auch Schulen und Lehrstellen ausserhalb
des Heims sind Teil davon.


Zur Geschichte der Heimerziehung

Der Vergleich von Looslis oder Honeggers traumatischen Erfahrungen in den
verschiedenen „Besserungsanstalten“ einerseits und Mathias Heimaufenthalt
andererseits verdeutlicht, dass sich die Heimerziehung im Verlauf des 20. Jahr-
hunderts verändert hat. Die Geschichte der Heimerziehung aber begann schon
viel früher. Bereits im Mittelalter gab es das „Hospital“, in dem jene „Elenden“
Zuflucht fanden, die ohne Familie waren. Es waren Kranke, Menschen mit einer
geistigen Behinderung, alte Leute und Kinder. Spezifische Fürsorgeinstitutionen
ausschliesslich für Kinder gab es nicht. Eigentliche Waisenhäuser wurden erst
sehr viel später errichtet: das erste in der Schweiz 1637 als Zucht- und Waisen-
haus. Erst 1771 trennte man die erwachsenen „Zuchthäusler“ räumlich von den
Waisenkindern. Die Waisenhäuser waren nicht dazu da, Kinder und Jugendliche
aufzunehmen, die verhaltensauffällig waren oder Delikte begangen hatten. Wäh-
rend Jahrhunderten wurden delinquente Kinder und Jugendliche nach dem Er-
wachsenenstrafrecht verurteilt. Erst im 19. Jahrhundert diskutierte man die Fra-
ge, ob und wann Kinder „strafmündig“ sind. Erst jetzt forderte man, dass der
Strafvollzug von Erwachsenen und Kindern getrennt werden müsse (vgl. Schoch
et al., 1989).
Das 19. Jahrhundert war auch, von Pestalozzi beeinflusst, eine Zeit der

Heimgründungen. In den philanthropisch orientierten oder katholischen Armen-
erziehungsanstalten und in den Rettungshäusern, die im Geist des Pietismus
errichtet worden waren, wollte man verwahrloste oder verwahrlosungsgefährdete
Kinder und Jugendliche – auch jetzt nur in Ausnahmefällen „verbrecherische“
Jugendliche – auf den „rechten Weg“ eines Gott gefälligen Lebens bringen. Die
„Anstalten“ waren eine Antwort auf die zunehmende Verelendung in den Jahr-
18 „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“
zehnten der frühen Industrialisierung. Sie waren auch eine Antwort auf das Ver-
dingkindwesen, wobei Kinder als billige Arbeitskräfte versteigert wurden. Gott-
helf (1985) schrieb gegen diesen Missbrauch der Kinder an, beispielsweise 1840
in „Die Armennot.“
Die im Verlauf des 19. Jahrhunderts gegründeten Erziehungsanstalten (der
Begriff „Heim“ wurde damals noch nicht verwendet) hatten eine im Vergleich
zu den Waisenhäusern überschaubare Grösse. Sie waren einem „romantisch
verklärten Idealbild des vorindustriellen Grosshaushaltes nachempfunden“
(Schoch et. al., ebd., 19). Während die Waisenhäuser vorwiegend in den Städten
ihren Standort hatten, errichtete man die Erziehungsanstalten auf dem Land.
Landwirtschaftliche Arbeit bildete das wichtigste Erziehungsmittel. Die Organi-
sationsform war patriarchal und militärisch, der Lebensstil einfach und karg
(ebd., vgl. auch Kobi, 1995). Man ging davon aus, dass arme Menschen arm
bleiben und dass man Kinder und Jugendliche zu einem entbehrungsreichen und
zugleich anständigen Leben erziehen musste (vgl. Chmelik, 1978).


„Anstalt“ und „Heim“ in der Kritik

Die Frage, ob die Erziehungsanstalt oder das Heim eine geeignete Alternative
zur Familie sein kann, prägte bereits die Diskussion in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts. Sie ist bis heute nicht verstummt. Kritisierten Pestalozzi oder
Gotthelf das Verdingkindwesen und damit die Unterbringung von Kindern in

Familien, so forderte Loosli später vehement die Abschaffung der Erziehungsan-
stalten, die er als Orte sadistischer Erziehungspraktiken und repressiver Unter-
drückungsmassnahmen brandmarkte. 1924 schrieb er, Erziehungsanstalten seien
„Folterkammern“, gleichzusetzen mit Krieg, Prostitution, Sklaverei (ebd., 105).
Zugleich glaubte Loosli daran, dass man die Heimerziehung reformieren könne.
Er wusste aber, dass er polemisch zuspitzen musste, um gehört zu werden
(Schoch et al., ebd., 91ff.).
Eine weitere Welle der Kritik ist mit der Aufbruchstimmung im Jahr 1968
und dem Begriff der „Heimkampagne“ verknüpft. 1970 berichtete eine Schwei-
zer Zeitschrift über unhaltbare erzieherische und hygienische Verhältnisse in
einem bernischen Jugendheim. Weitere kritische und anklagende Berichte folg-
ten. Die danach in Zürich gegründete „Heimkampagne“ forderte einschneidende
Reformen, so die Abschaffung der Körperstrafe, eine bessere Kontrolle durch die
Öffentlichkeit oder gar die Selbstverwaltung der Heime. Man organisierte Mas-
senfluchten aus den Institutionen der Jugendhilfe. Die Heimkritik war durch
Widersprüche sowie unterschiedliche Zielsetzungen und Theorien gekennzeich-
net. Man setzte sich einerseits für die Reform, andererseits für die Abschaffung
1 Einleitung 19
der Heimerziehung ein. Die Forderung nach Selbstverwaltung wies auf eine
sozialutopische Komponente hin. Andere verstanden die Insassen als Aussensei-
ter, deren aggressives Potenzial im Sinn revolutionärer gesellschaftlicher Verän-
derung genutzt werden sollte.
Mit ihren radikalen Forderungen ist die „Heimkampagne“ gescheitert. Hei-
me für alle Alterstufen gibt es auch heute. Das selbstverwaltete Heim blieb eine
Illusion. Aber die damalige Kritik hat eine grosse Bewegung in der Heimland-
schaft bewirkt. Die Heimerziehung musste sich der öffentlichen Debatte stellen.
Es gab Reformen. Die Ausbildung der Mitarbeitenden wurde verbessert, demo-
kratischere Leitungsformen ersetzten den patriarchal-autoritären Führungsstil
und die Gruppen der „Insassen“ wurden verkleinert. Trotzdem blieb die Forde-
rung nach einer radikalen Auflösung der Institution „Heim“ in weiten Fachkrei-

sen bestehen. In dieser Grundsatzdiskussion spielte vor allem die sozialpsycho-
logische Theorie Goffmans (2006, 2008) eine zentrale Rolle. In Heimen bestehe,
anders als in Familien, die Gefahr, dass man die Kontrolle über die Insassen in
einem totalen Sinn ausübe. Heimerziehung stigmatisiere und fördere damit das
abweichende Verhalten mehr, als dass es dieses verhindere. Aus dieser Überzeu-
gung heraus verlangten verschiedene Gruppen die Abschaffung der Heime. Sie
sollten durch heilpädagogisch geführte Gross- oder Pflegefamilien, sozialpäda-
gogische Wohngemeinschaften oder – in den 90er Jahren – erlebnispädagogische
Wildnis- und Segelschiffprojekte ersetzt werden. Den Anspruch, eine in einem
absoluten Sinn bessere Alternative zu sein, konnte man nicht einlösen (vgl.
Crain, 1996/ 1998). Zugleich wurden verschiedene Elemente dieser alternativen
sozialpädagogischen Massnahmen von der Heimerziehung übernommen.


Psychoanalyse und Heimerziehung

Wenig bekannt ist, dass eine von der Psychoanalyse beeinflusste Pädagogik
wesentliche Impulse durch verschiedene Heimprojekte erhalten hat. Von der
Reformpädagogik und der klassischen Psychoanalyse Freuds beeinflusst begrün-
dete Aichhorn (1971) sein Projekt einer stationären Erziehung. Aichhorn und
seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzogen „verwahrloste“ Kinder und Ju-
gendliche von 1918 bis 1922 in Oberhollabrunn und St. Andrä in Niederöster-
reich nach einem damals revolutionären Konzept. Mitte der 40er Jahre gründeten
der aus Österreich emigrierte Redl und der Amerikaner Wineman das Pioneer
House in Detroit (Redl und Wineman, 1976/ 1979). Bettelheim (1989) leitete
von den 40er Jahren an die Sonja Shankman Orthogenic School in Chicago. In
der Tradition des französischen Psychoanalytikers Lacan stehend errichtete
Maud Mannoni in Bonneuil-sur-Marne eine Institution, deren wesentliches
20 „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“
Merkmal paradoxerweise die Offenheit und das Nicht-Institutionelle sein sollten;

Mannoni prägte dafür den Begriff der „gesprengten Institution“ (1978). Die
psychoanalytische Pädagogik stellte die Bedürfnisse der Kinder und Jugendli-
chen ins Zentrum, wies darauf hin, wie wichtig der Aspekt der Beziehung für
Erziehung und Entwicklung sei und fragte nach den bewussten und unbewussten
Motiven der Erziehenden. Aus psychoanalytischer und antipsychiatrischer Per-
spektive prangerte Mannoni die herkömmliche Institution im Hinblick auf die in
ihr enthaltene Macht, Kontrolle und Entfremdung an (zur Geschichte des Ver-
hältnisses von Psychoanalyse und Pädagogik siehe Fatke und Scarbath, 1995).


Zur Situation heute

Die Heimerziehung entwickelt sich fortwährend weiter. Gesellschaftliche und
damit auch ökonomische Verhältnisse beeinflussen die Heimerziehung ganz
direkt: über das Geld, das den Heimen zur Verfügung gestellt wird, über den
Lohn der Mitarbeitenden, über die Anstellungsbedingungen oder über den ge-
sellschaftlichen Auftrag. Wirtschaftliche und politische Zustände sowie Theorien
der Erziehung und der Sozialarbeit hängen auf komplexe Weise miteinander
zusammen. Die Art der Ausbildung von Sozialpädagoginnen und Sozialpädago-
gen an Fachhochschulen und Höheren Fachschulen prägt die alltägliche Arbeit
mit den Kindern und Jugendlichen. Da Heimerziehung eine teure Massnahme ist,
muss dies von der einweisenden Behörde gut begründet werden.
Gleich geblieben ist die Ambivalenz, mit der die Öffentlichkeit der Heimer-
ziehung begegnet. Der Gedanke, dass Kinder integrativ geschult werden sollen,
bildet ein Kernelement moderner Bildungspolitik. Zugleich wird angesichts
jugendlicher Gewalttäter der Ruf nach dem Wegsperren schwieriger Jugendli-
cher laut. Gefordert wird ein härteres Durchgreifen. Man verlangt die „Ausschaf-
fung“ von straffälligen Jugendlichen „mit Migrationshintergrund“ und die Mög-
lichkeit, jugendliche Straftäter schon in einem Alter von 14 Jahren zu verwahren.
Das Heim steht einer paradoxen öffentlichen Haltung gegenüber: Heime sind im

Allgemeinen notwendig, im Speziellen lehnt man sie ab – „sie sind schlecht, wie
sie sind, aber es ist gut, dass sie sind“ (Kobi, ebd., 21).


Zur Studie

Heime verändern sich. Heime unterscheiden sich je nach Standort, Alter und
Geschlecht der „Insassen“, nach Zeit, Auftrag und Organisation. Heime sind
lebendige Systeme, abhängig von der Umgebung, in der sie sich befinden, und
1 Einleitung 21
den Menschen, die dieses System mitgestalten: den Jugendlichen, den Sozialpä-
dagogen, den Lehrerinnen, der Köchin oder dem Hauswart und natürlich der
Heimleitung. Das Heim „an sich“ gibt es nicht. Darum kann auch das Heim „an
sich“ nicht untersucht werden. Die hier vorgestellte Studie befasst sich explizit
mit einer einzelnen Institution – einem Schulheim für verhaltensauffällige männ-
liche Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 20 Jahren. Untersucht
wird ein zeitlicher Ausschnitt. Wir verstehen dieses spezifische Schulheim als
komplexe, sich dauernd verändernde Lebenswelt, in der Menschen mit unter-
schiedlichen Voraussetzungen im Rahmen gesellschaftlicher und institutioneller
Normen und Regeln miteinander in Beziehung treten.
Das Schulheim wurde nicht von unabhängigen Forscherinnen und For-
schern beobachtet, beschrieben und analysiert. Der Autor war nicht nur For-
schungsleiter der Studie. Er war als beratender Psychologe lange Zeit selbst Teil
der Institution. Das ist nicht unproblematisch; persönliche Erfahrungen flossen in
die Beobachtung und Auswertung ein. Der Blick auf das Geschehen kann unter
Umständen zu unkritisch werden. Schlechte Erfahrungen können negative Vor-
urteile zur Folge haben. Dieser Gefahr waren wir uns bewusst (vgl. dazu das 6.
Kapitel).
Die Studie ist der Versuch, die möglichen Einflussfaktoren zu untersuchen,
die in der Heimerziehung wirksam sind. Heimerziehung ist eine separative

Massnahme. Kann eine solche im Hinblick auf die berufliche und soziale Integ-
ration eines Jugendlichen dennoch begründet werden? Vermag der Heimaufent-
halt die Lebenschancen der Jugendlichen zu verbessern? Wenn ja, unter welchen
Voraussetzungen? Oder trifft die Hypothese zu, dass die Heimerziehung durch
den Prozess der Stigmatisierung das Gegenteil bewirkt, so dass es zu einer Ver-
festigung des abweichenden Verhaltens kommt? Man kann die Frage nach der
Berechtigung der Heimerziehung auch anders formulieren: Kann sich in einem
Schulheim eine pädagogische Kultur entwickeln, welche die Entwicklung eines
Jugendlichen fördert? Bei einer Fremdunterbringung werden wesentliche demo-
kratische Prinzipien verletzt: Die Jugendlichen treten nicht freiwillig ein; sie
werden von ihren Angehörigen und von ihren Kollegen getrennt; sie können die
Regeln, nach denen ihr Alltagsleben gestaltet wird, nur bedingt beeinflussen. Es
sind Zwangsverhältnisse, denen sie unterworfen sind – ist es denkbar, dass Hei-
me nicht einfach „Orte der Unkultur“ sind (vgl. Permien, 2010, 53ff.)?
Die Studie will in einem weiteren Sinn einen Beitrag zu einer entwick-
lungspsychologischen Fragestellung leisten. Welches sind die Faktoren, die das
menschliche Verhalten bestimmen? Ist es die frühe Kindheit? Sind es, wie eine
neuropsychologisch begründete Position nahe legt, die ersten drei Jahre? In die-
sem Fall wären die Möglichkeiten der Heimerziehung äussert beschränkt. Einge-
schränkt wären sie auch, wenn die Annahme eines Hirnforschers wie Roth zu-
22 „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“
trifft, dass bei „schlechten“ genetischen Anlagen und „schlechten“ Sozialisati-
onsbedingungen „ein Jugendlicher mit 15 Jahren nur sehr schwer veränderbar
ist“ (Interview in der SonntagsZeitung vom 29. November 2009). Oder hat der
Entwicklungspsychologe Kagan (2000) recht, der von einer lebenslangen Beein-
flussbarkeit durch äussere Lebensumstände ausgeht? Dann wäre es nicht so ent-
scheidend, was Jugendliche während ihrer Heimzeit erleben. Viel wichtiger wäre
die Lebenswelt, in der sie als Erwachsene zuhause sind. In diesem Fall wären
situative Faktoren weit bedeutsamer als das, was Menschen in einer bestimmten
Phase ihres Lebens erfahren haben.

Wir gehen von der Annahme aus, dass das Heim ein komplexes Systems ist.
Wichtig wäre nicht nur eine Untersuchung der Entwicklung, die Jugendliche vor,
während und nach dem Austritt gemacht haben. Sinnvoll wäre auch eine Institu-
tionsanalyse. Zu untersuchen wären die Leitungsstruktur oder das erzieherische
Klima. Zu hinterfragen wären die expliziten Regeln und Normen ebenso wie die
impliziten; es ist keineswegs sicher, dass Übereinstimmung besteht. Vielleicht ist
das im Leitbild definierte pädagogische Konzept von Fürsorglichkeit und Part-
nerschaftlichkeit geprägt, während im Alltag eine eher zynische Grundhaltung
den Jugendlichen und ihren Angehörigen gegenüber vorherrscht und repressive
Momente häufig sind. Vielleicht werden die Jugendlichen an Normen wie Pünkt-
lichkeit und Zuverlässigkeit gemessen, ohne dass die Erwachsenen selbst diesen
Erwartungen nachkommen. Die Studie berücksichtigt diese Aspekte dadurch,
dass Ehemalige zu ihren Erfahrungen mit den Erwachsenen und den anderen
Jugendlichen oder zum Erziehungs- und Unterrichtsstil befragt wurden.


Wirkungsanalysen

Studien zur Wirksamkeit der Heimerziehung in der Schweiz sind selten. 1983
ging die Jugendanwältin Marie Boehlen (1983) der Frage nach, welche Laufbahn
delinquente Jugendliche nach dem Austritt aus dem Heim eingeschlagen haben.
Umfassender war die von Tuggener geleitete Untersuchung „Das Erziehungs-
heim und seine Wirkung“, die auf ein Konzept im Jahr 1978 zurückging (Ams-
ler, Cassée, Nufer und Schaffner, 1980/ vgl. auch Graf, E. O., 1993). Die Studie,
die an der Universität Zürich durchgeführt wurde, ist insofern bemerkenswert,
als man ursprünglich im Auftrag der „Sektion Straf- und Massnahmenvollzug
des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements“ ein Verfahren entwickeln
sollte, mit dem die Bewährung sowohl im strafrechtlichen Bereich („Legalbe-
währung“) als auch im Arbeitsbereich nach dem Austritt gemessen und mit
ebenfalls messbaren Heimvariablen in Verbindung gebracht werden sollte. In der

Folge zeigte sich, dass der quantitative Ansatz dem „Forschungsgegenstand“ –
1 Einleitung 23
den Heimen in ihrer Komplexität, der Entwicklung der Insassen während der
Heimzeit oder dem späteren Verlauf nach dem Austritt – nicht gerecht wurde.
Die Untersuchung entwickelte sich zu einem komplexen Forschungsgeschehen,
wobei verschiedene Heime auch mit einem qualitativen Ansatz untersucht wur-
den (z.B. Graf, E. O. 1988). Deutlich zeigte sich, wie unterschiedlich die Institu-
tionen aus dem Bereich der Jugendheime und Arbeitserziehungsanstalten im
Hinblick auf ihr Selbstverständnis, die pädagogischen Zielsetzungen und die
Selbstreflexion waren.


Verhaltensauffällig? Sozial gefährdet? Verhaltenskreativ?

Im Zentrum unserer Untersuchung stehen junge Männer, die man in ein Schul-
heim für sozial gefährdete und verhaltensauffällige Jugendliche eingewiesen
hatte. Bereits am Beispiel von Mathias wurde deutlich, dass solche Etiketten
fragwürdig sind. „Sozial auffällig“, „erziehungsschwierig“ oder „verhaltensge-
stört“ sind Zuschreibungen, Etiketten oder „Labels“, die über den betreffenden
Jugendlichen wenig aussagen. Im besten Fall dienen sie dazu, eine Gruppe zu
kennzeichnen, für die bestimmte beobachtbare Verhaltensweisen vor allem vor
dem Heimeintritt charakteristisch sind. Das Problem besteht jedoch darin, dass
es sich grundsätzlich um eine Störung zwischenmenschlicher Verhältnisse han-
delt. Mathias war vor dem Heimeintritt in einem bestimmten Kontext erzie-
hungsschwierig, verhaltens- oder sozial auffällig gewesen. Er hatte sich anderen
Menschen gegenüber auffällig verhalten, die sich durch ihn gestört fühlten. Der
Aspekt des „Dazwischen“ findet keinen Niederschlag in Begriffen, mit denen
man vorgibt, dass es sich um eine Störung handelt, die am Individuum festge-
macht werden kann. Der systemische Aspekt ist heute in Fachkreisen anerkannt;
die Sprache aber richtet sich nicht danach.

Begriffe, die sich auf abweichendes, störendes, schwieriges oder fremdarti-
ges Verhalten richten, enthalten tendenziell eine negative Wertung. Die Sozial-
und Sonderpädagogik versucht dieser Wertung immer wieder auszuweichen.
Man will neutral und wertfrei sein. Man spricht von „Kindern mit Problemen“,
um dann bei Nachfrage präzisieren zu müssen, um welche Art von Problemen es
sich handelt. Manchmal wendet man die negative Wertung ins Positive und
spricht von „verhaltensoriginellen“ oder gar „verhaltenskreativen“ Kindern, was
einer Verleugnung der Schwierigkeiten gleichkommt, die Kinder und Jugendli-
che bereiten können. Begriffe, mit denen schwierige Kinder und Jugendliche
gekennzeichnet werden, sind problematisch. Man muss sich der Problematik
bewusst sein – und sollte im Einzelfall möglichst darauf verzichten. Welchen
Beitrag leistet eine Etikette „verhaltensauffällig“ zum Verständnis eines ganz
24 „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“
bestimmten Jugendlichen? In der vorliegenden Studie geht es um einzelne Men-
schen mit einer jeweils unverwechselbaren Geschichte, denen man mit einem
solchen Begriff niemals gerecht wird.


Aufbau

Im folgenden 2. Kapitel stellen wir mit „Robert“ beispielhaft die Entwicklung
eines Jugendlichen vor, während und nach dem Heimaufenthalt vor. Robert
unterscheidet sich in mancher Hinsicht von Mathias; er repräsentiert einen Ju-
gendlichen, dessen Biographie von grösseren Schwierigkeiten nicht nur vor,
sondern auch während des Heimaufenthalts und nach dem Austritt gekennzeich-
net war. Robert ist „typischer“ für die Gruppe der Heimjugendlichen als Mathi-
as.
Mathias und Robert verbrachten mehrere Jahre in einem ganz bestimmten
Heim, dem Schulheim Schillingsrain bei Liestal, in der Nähe von Basel. Es han-
delte sich um ein Schulheim – eine Institution für Jugendliche in einem bestimm-

ten Alter, mit einem internen Schulangebot. Es war kein Kinderheim, in dem
eher jüngere Kinder untergebracht sind, die extern in die Schule gehen. Der
Schillingsrain war auch kein Jugendheim, das für Jugendliche und junge Er-
wachsene bestimmt ist, die oft aus strafrechtlichen Gründen eingewiesen wer-
den. Wir beschreiben das Schulheim im 3. Kapitel.
Im 4. Kapitel stellen wir die verschiedenen theoretischen Konzepte vor, von
denen aus die Ziele in Unterricht und Sozialpädagogik formuliert und von denen
aus erzieherisch geplant und gemeinsam reflektiert wurde. Wir beschreiben den
theoretischen Hintergrund, von dem aus wir das Forschungsdesign entwickelt
und die Heimbiographien analysiert haben.
Das 5. Kapitel umreisst die Forschungsfrage; im 6. Kapitel begründen wir
die Wahl des qualitativen Forschungsansatzes sowie die Forschungsmethode.
Wir haben die biographischen Verlaufsdaten von 78 Jugendlichen vor und
während der Heimzeit ausgewertet. Das 7. Kapitel enthält einige zahlenmässige
Angaben; im Zentrum stehen jedoch „Muster“ oder „Figuren der Veränderung
während des Heimaufenthalts“; wir illustrieren diese „Figuren“ anhand von
ausgewählten Heimbiographien.
Wie sind diese Muster oder „Figuren“ zu verstehen? Kann von der Art und
dem Ausmass der Verhaltensauffälligkeit vor dem Heimeintritt auf den späteren
Heimverlauf geschlossen werden? Welche Bedeutung kommt der Vorgeschichte
der Jugendlichen zu? Welche Rolle spielen die Angehörigen? Diese und andere
Fragen nach dem Zusammenhang verschiedener Variablen mit der Entwicklung
während des Heimaufenthalts sind das Thema des 8. Kapitels.
1 Einleitung 25

Wir haben mit 35 Ehemaligen des Schulheims ein Interview durchgeführt. Wäh-
rend die Einflussgrösse „Schulheim“ in der Analyse der Heimbiographien nur
indirekt erfasst werden konnte, erhielt sie in den Gesprächen ein konkreteres
Gesicht. Die erinnerte Zeit im Schulheim, die Entwicklung nach dem Austritt
und die soziale und berufliche Integration zur Zeit des Interviews sind das The-

ma des 9. Kapitels.
Ausgehend von der aktuell erkennbaren Bewährung oder Nicht-Bewährung
im Alltag fragten wir im 10. Kapitel nach den Einflussfaktoren. Wie wichtig war
das Gefühl von Autonomie oder „Selbstwirksamkeit“? Wie bedeutsam waren
berufliche Bewährung, Partnerschaft und Familie? Spielten Herkunftsfamilie und
Angehörige eine wesentliche Rolle? Welchen Stellenwert besass – in der Erinne-
rung und in der subjektiven Bewertung – das Schulheim?
Stellt die Heimerziehung eine Chance für Jugendliche dar, die aus sehr
problematischen Familienverhältnissen stammen und „erziehungsschwierig“
sind? Was können Erziehung und Unterricht im Schulheim unter welchen Be-
dingungen und bei welchen Jugendlichen leisten und was nicht? Im 11. Kapitel
versuchen wir, einen Überblick zu gewinnen.
Wohin bewegt sich die Heimerziehung in Zukunft? Ein bildungs- und sozi-
alpolitischer Ausblick ist das Thema des abschliessenden 12. Kapitels.


2 Robert. Vorgeschichte, Heimbiographie und
weitere Entwicklung


2 Robert. Vorgeschichte, Heimbiographie und weitere Entwicklung



Roberts Geschichte ist eine andere als jene von Mathias. Robert war beim Ein-
tritt 14;4 Jahre, beim Austritt 18 Jahre alt. Er verbrachte fast vier Jahre im
Schulheim. In dieser Zeit setzten sich die Sozialpädagoginnen und Sozialpäda-
gogen, die Lehrkräfte, der Heimleiter, der Psychologe und die Sozialarbeiterin
der Vormundschaftsbehörde zwei Mal jährlich zusammen. Man dachte über die
Entwicklung von Robert nach und tauschte sich miteinander aus. Man überlegte

sich, wie man sich im erzieherischen und schulischen Bereich Robert gegenüber
verhalten solle. Man besprach Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Koopera-
tion mit seiner Mutter. Über diese Besprechungen wurden schriftliche Protokolle
und (im Fall des Heimpsychologen) handschriftliche Notizen angefertigt. Es
lagen Berichte der vorgängigen Schule und des Schulpsychologischen Dienstes
vor.
Ein Forscher traf sich mit Robert acht Jahre nach seinem Austritt zum In-
terview. Robert war etwa 26 Jahre alt. Das Gespräch dauerte eine Stunde und 20
Minuten. Es wurde eine schriftliche Transkription angefertigt.


Vorgeschichte und Heimbiographie

Robert wuchs zusammen mit einem Bruder bei seinen Eltern in einer ländlichen
Gemeinde im Kanton Aargau auf. Seine Schulleistungen waren nie gut gewesen,
verschlechterten sich aber nach dem krankheitsbedingten Tod des Vaters. Robert
entzog sich seiner Mutter und wurde Teil einer gewaltbereiten und rechtsextre-
men Jugendszene. Nach verschiedenen Vorfällen wurde er aus der Schule ausge-
schlossen. Mit 14;4 Jahren trat er ins Schulheim Schillingsrain ein.
In den ersten Jahren seines fast vier Jahre dauernden Aufenthalts liess er
sich auf ausgewählte Erwachsene ein. Vor allem sein Gruppenleiter fand einen
guten Zugang zu ihm. Es zeigte sich, dass hinter dem schwierigen, oft distanzlos
fordernden Robert ein verletzbarer Jugendlicher stand, der auf unbedingte Aner-
kennung angewiesen war. Wenn er seine Bezugspersonen annehmen konnte und
sich von ihnen anerkannt fühlte, war er leicht zu haben und verhielt sich ange-
F. Crain, „Ich geh ins Heim und komme als Einstein heraus“,
DOI 10.1007/978-3-531-94227-8_2,
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