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Cách thức phát triển kỹ năng giao tiếp liên văn hóa cho học sinh việt nam học tiếng đức

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VIETNAM NATIONALE UNIVERSITÄT HANOI
FREMDSPRACHENHOCHSCHULE
ABTEILUNG FÜR POSTGRADUIERTENSTUDIUM

ĐỖ CẨM VÂN

MÖGLICHKEITEN ZUR FÖRDERUNG DER
INTERKULTURELLEN KOMPETENZ FÜR VIETNAMESISCHE
DEUTSCHSCHÜLER
CÁCH THỨC PHÁT TRIỂN KỸ NĂNG GIAO TIẾP LIÊN VĂN HÓA
CHO HỌC SINH VIỆT NAM HỌC TIẾNG ĐỨC

MASTERARBEIT

Fachrichtung: Germanistik

HANOI – 2017


VIETNAM NATIONALE UNIVERSITÄT HANOI
FREMDSPRACHENHOCHSCHULE
ABTEILUNG FÜR POSTGRADUIERTENSTUDIUM

ĐỖ CẨM VÂN

MÖGLICHKEITEN ZUR FÖRDERUNG DER
INTERKULTURELLEN KOMPETENZ FÜR VIETNAMESISCHE
DEUTSCHSCHÜLER
CÁCH THỨC PHÁT TRIỂN KỸ NĂNG GIAO TIẾP LIÊN VĂN HÓA
CHO HỌC SINH VIỆT NAM HỌC TIẾNG ĐỨC


MASTERARBEIT

Fachrichtung: Germanistik
Gutachterin: Dr. Dörte Lütvogt

HANOI – 2017


Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich
die vorliegende Masterarbeit selbstständig
angefertigt und keine andere Literatur als
die angegebene benutzt habe.

............................
Đỗ Cẩm Vân


Danksagung
Zum Gelingen dieser vorliegenden Arbeit möchte ich meiner Gutachterin – Frau Dr.
Dưrte Lütvogt – meinen grưßten Dank ausdrücken. Ich bedanke mich bei ihr ganz
herzlich für ihre hilfreichen Ratschläge. Ohne ihre Unterstützung hätte ich diese
Herausforderung nicht meistern kưnnen.
Aerdem habe ich meinen Schülern zu verdanken, dass sie aktiv an der Umfrage der
empirischen Untersuchung teilgenommen haben.
Meine Eltern habe mich mein ganzes Leben lang unterstützt und mir die
Konzentration auf diese Arbeit ermöglicht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.
Zuletzt bin ich der Hochschule für Sprachen und Vietnam nationale Universität Hanoi
zu Dank verpflichtet, die mir die Gelegenheit ermöglicht hat, diese Arbeit

fertigzustellen.

Herzlichen Dank!


Kurze Zusammenfassung

Die folgende Arbeit handelt von den „Möglichkeiten zur Förderung der
interkulturellen Kompetenz für vietnamesische Deutschschüler“. Im Zeitalter der
Globalisierung „ist die Welt kleiner“ geworden und interkulturelle Kompetenz spielt
eine wichtige Rolle. In dieser Arbeit soll es um die Frage gehen, was interkulturelle
Kompetenz bedeutet und wie sie gefördert werden kann. Im praktischen Teil der
Arbeit sollen zunächst Aufgaben dargestellt und analysiert werden, mit denen die
vietnamesischen Deutschschüler ihre interkulturelle Kompetenz entwickeln kưnnen.
Aerdem enthält der Praxisteil eine ausführliche Analyse des Schüleraustausches
2016 zwischen der Fremdsprachenoberschule Hanoi und dem Albrecht-ThaerGymnasium Hamburg, wobei auch einige Methoden des Trainings interkultureller
Kompetenz für die vietnamesischen Austauschschüler vor, während und nach der
Reise dargestellt werden sollen.


Inhaltsverzeichnis
Seite
1.

Einleitung

1

1.1.


Problemstellung und Zielsetzung

1

1.2.

Fragestellung

2

1.3.

Aufbau der Arbeit

3

1.4.

Forschungsmethoden

4

2.

Theoretische Grundlage

5

2.1.


Interkulturelle Kommunikation

5

2.1.1.

Begriffe interkultureller Kommunikation

5

2.1.2.

Kultur

10

2.1.2.1.

Was ist Kultur?

10

2.1.2.2.

Kulturbegriffe

11

2.1.3.


Was ist Identität?

15

2.1.4.

Kulturstandards und Stereotype

16

2.2.

Interkulturelle Kompetenz

19

2.2.1.

Definitionen interkultureller Kompetenz

20

2.2.2.

Modelle interkultureller Kompetenz

23

2.2.2.1.


Byrams Modell interkultureller Kompetenz

24

2.2.2.2.

Lernspirale „interkulturelle Kompetenz“

28

2.2.2.3.

Listenmodelle interkultureller Kompetenz

32

2.2.3.

Kritik am Begriff der interkulturellen Kompetenz

36

2.2.4.

Training interkultureller Kompetenz

38

2.2.4.1.


Lernziele des Trainings interkultureller Kompetenz

39

2.2.4.2.

Trainingstechniken

41

2.2.4.2.1.

Rollenspiel

44

2.2.4.2.2.

Learning by doing

45

2.2.4.2.3.

Fragebogenverfahren

45


2.2.4.2.4.


Critical Incident

46

2.2.4.3.

Schwierigkeiten beim Training interkultureller Kompetenz

47

3.

Praktische Untersuchung

48

3.1.

Deutschlerner an der Fremdsprachenoberschule Hanoi

48

3.1.1.

Schüler/innen an der Fremdsprachenoberschule Hanoi

48

3.1.2.


Auswahl der didaktischen Methoden
interkultureller Kompetenz

3.2.

50

Beispiele für Aufgabenformate zur Förderung
interkultureller Kompetenz aus dem Lehrwerk Studio d A1

50

3.2.1.

Kriterien für Lernaufgaben

50

3.2.2.

Aufgabenanalyse

52

3.2.3.

Zusammenfassung

63


3.3.

Ein Beispiel für das Training interkultureller Kompetenz
für vietnamesische Austauschschüler

63

3.3.1.

Zielgruppe

64

3.3.2.

Drei Phasen des Schüleraustauschs

65

3.3.2.1.

Phase 1: Vor dem Austausch

65

3.3.2.2.

Phase 2: Während des Austauschs


66

3.3.2.3.

Phase 3: Nach dem Austausch

66

3.3.3.

Trainingsmethoden

67

3.3.3.1.

Fragebogen und Motivationsschreiben

67

3.3.3.2.

Interviews

70

3.3.3.3.

Lernertagebuch


72

3.3.3.4.

Gruppendiskussionen

75

3.3.3.5.

Brief an den Nachfolger schreiben –

3.3.4.

„How to survive Germany“

77

Zusammenfassung

78


4.

Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Anhang

79


1.

Einleitung

1.1.

Problemstellung und Zielsetzung

„Die Welt wird immer kleiner und man weiß heute mehr über andere Menschen und
Länder als früher.“ (Ammann 1995, S.79)
Im Zeitalter der Globalisierung „ist die Welt kleiner“ geworden und interkulturelle
Kommunikation spielt eine wichtige Rolle. Man kommuniziert miteinander, arbeitet
zusammen und lernt Menschen aus verschiedenen Länder der ganzen Welt kennen.
Jedes Land hat eine eigene Kultur. Es gibt oft Konflikte in der Kommunikation
zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen. Deshalb erscheint ‚interkulturelle
Kommunikation‘ als ein besonderes und neues Fach, das die meisten Menschen
brauchen. Dieses Fach ist noch fremd in Vietnam und es gibt noch wenig
Möglichkeiten, es an einer Schule oder an einer Universität zu studieren. Trotzdem
wissen die meisten schon, wie wichtig ‚interkulturelle Kommunikation‘ in der
heutigen globalisierten Welt ist, und viele Leute versuchen, ihre interkulturelle
Kompetenz zu verbessern. In dieser Arbeit soll es um die Frage gehen, was
interkulturelle Kompetenz bedeutet und wie sie gefördert werden kann.
Die Gesellschaft entwickelt sich schnell wegen der Globalisierung. Menschen aus
unterschiedlichen Ländern kommunizieren aus vielen unterschiedlichen Gründen
miteinander, z. B. weil sie miteinander befreundet sein, zusammenarbeiten, eine

Berufschance im Ausland finden oder einfach eine neue Kultur kennenlernen
möchten. Deshalb braucht man interkulturelle Kompetenzen.
Ich arbeite an der Fremdsprachenoberschule Hanoi. Dort werden Fremdsprachen als
Hauptfächer unterrichtet. Neben vielen bekannten Fremdsprachen in Vietnam wie
Englisch, Französisch, Japanisch, Russisch und Chinesisch ist Deutsch auch eine
beliebte Wahl für viele Schüler, die später in Deutschland studieren möchten. Jedes
Jahr wird ein Austauschprogramm für die vietnamesischen Deutschschüler
durchgeführt. Die Schüler der Fremdsprachenoberschule Hanoi sind sehr aktiv und
verfügen über eine gute Lernfähigkeit. Ihre Vorteile sind die gute Beherrschung der
Fremdsprachen und die Selbständigkeit. Die meisten Schüler hatten schon vor dem

1


Austausch die Chance, ins Ausland zu fahren oder mit Ausländern zu
kommunizieren. Aus diesem Grund hatte ich am Anfang keine Sorgen, dass sie einen
Kulturschock oder allgemeine Probleme in Deutschland haben, wenn wir einen
Schüleraustausch machen. Im Gegensatz zu meinen Annahmen hatten die Schüler
aber viele Schwierigkeiten bei der Kommunikation. Obwohl sie gute und sehr aktive
Schüler sind, waren sie doch mit vielen ungewöhnlichen Problemen konfrontiert. Ich
glaube, dass sie wirklich interkulturelle Kompetenzen entwickeln müssen, weil fast
alle Schüler diese später brauchen werden, wenn sie mit den Deutschen
kommunizieren. Vielleicht denken viele Schüler sofort, dass sie keine interkulturellen
Kompetenzen brauchen, wenn sie nur in Vietnam bleiben. Das ist aber falsch.
Interkulturelle Kompetenzen sind selbst dann notwendig, wenn sie nicht ins Ausland
fahren. Wegen der oben genannten Gründe trifft man auch in Vietnam oft mit
Ausländern zusammen, vielleicht Deutschen oder auch Menschen aus anderen
Ländern. Obwohl man „Andere Länder, andere Sitten“ sagen kann, haben die meisten
Kulturen auch Gemeinsamkeiten. Wir können auf unsere Erfahrungen bei der
Kommunikation mit den Deutschen aufbauen, um auch andere Kulturen schnell

kennenzulernen. Aus diesem Grund finde ich das Fach ‚Interkulturelle
Kommunikation‘ und besonders den Erwerb von interkulturellen Kompetenzen in der
Schule sehr wichtig. In meiner Masterarbeit geht es um das Thema „Möglichkeiten
zur Förderung der interkulturellen Kompetenz für vietnamesische Deutschschüler“.
1.2.

Fragestellung

In dieser Masterarbeit wird versucht, Antworten auf folgende Fragen zu finden:
 Wie wichtig ist interkulturelle Kompetenz für Deutschlerner? Was bedeuten
interkulturelle Kommunikation im Allgemeinen sowie interkulturelle
Kompetenz im Besonderen?
 Wie kann interkulturelle Kompetenz bei vietnamesischen Deutschschülern
gefördert werden?

2


 Wie sieht ein Schüleraustausch zwischen Schulen in Vietnam und in
Deutschland aus? Was sollen die Lehrkräfte vor dem Austausch, während des
Austauschs und nach dem Austausch machen?
1.3.

Aufbau der Arbeit

Die Zielsetzung dieser Arbeit ist, dass man gut versteht, was ‚interkulturelle
Kommunikation‘ und was ‚interkulturelle Kompetenz‘ ist. Diese Begriffe sind nicht
neu in vielen Ländern, aber noch neu in Vietnam. Es gibt noch wenig Forschung
darüber und die meisten haben wenig Erfahrung mit diesen Begriffen. Aus der
Zielsetzung ergibt sich folgende Gliederung der Arbeit: Nach Problemstellung,

Zielsetzung und Untersuchungsmethoden im ersten Kapitel folgt im zweiten Kapitel
die Darstellung der Fachbegriffe.
‚Kultur‘ ist der erste Begriff, den man verstehen muss. Es gibt schon eine
Übersetzung für das Wort ‚Kultur‘, aber ob man genau weiß, was ‚Kultur‘ bedeutet.
Neben den Begriff ‚Kultur‘ werden ‚interkulturelle Kommunikation‘ und
‚interkulturelle Kompetenz‘ definiert und analysiert.
Nebenbei gibt es noch Kritik daran und sehr unterschiedliche Meinungen vieler
Forscher. In den theoretischen Kapiteln wird nicht nur die Wichtigkeit der
interkulturellen Kompetenzen dargestellt, sondern auch die Kritik daran. Man weiß
wahrscheinlich schon, welche Rolle interkulturelle Kompetenz spielt. Aber wie man
diese Fähigkeit erlernen kann, ist noch eine offene Frage, die ich gern erforschen
möchte. Die unterschiedlichen Meinungen hierzu sollen dargestellt und verglichen
werden.
Im praktischen Teil der Arbeit sollen zunächst Aufgaben dargestellt und analysiert
werden, mit denen die vietnamesischen Deutschschüler ihre interkulturelle
Kompetenz entwickeln können. Diese Aufgaben stammen aus dem Lehrwerk Studio
d A1. An der Fremdsprachenoberschule im Jahrgang 2016/2017 wurde das Lehrwerk
Studio d A1 verwendet und die Schüler, die an dem Austausch 2016 teilgenommen
haben, haben mit diesem Lehrwerk gearbeitet. Es ist deshalb sinnvoller, wenn man
direkt die Aufgaben in diesem Lehrwerk als Materialien für Förderung

3


interkultureller Kompetenz nimmt. Außerdem enthält der Praxisteil eine ausführliche
Analyse des Schüleraustausches 2016 zwischen der Fremdsprachenoberschule Hanoi
und dem Albrecht-Thaer-Gymnasium Hamburg, wobei auch einige Methoden des
Trainings interkultureller Kompetenz für die vietnamesischen Austauschschüler vor,
während und nach der Reise dargestellt werden sollen.
Abschließend sollen einige Schlussfolgerungen gezogen werden.

1.4.

Forschungsmethoden

Als Material der theoretischen Untersuchung dienen vor allem folgende Titel:
Anforderungen

an

das

Bildungssystem

und

die

Schulen

in

der

Einwanderungsgesellschaft von Auernheimer (2001), Interkulturelle kommunikative
Kompetenz von Freitag-Hild (2010), Interkulturelle Kommunikation von Lüsebrink
(2005), Interkulturelle Kommunikation von Heringer (2014), Interkulturelle
Kompetenz – Konzepte und Praxis des Unterrichts von Laurenz Volkmann/ Klaus
Stierstorfer/ Wolfgang Gehring (2002). Außerdem ist das Buch Interkulturelle
Kompetenz in Schule und Weiterbildung von Tobias Ringeisen, Petra Buchwald und
Christine Schwarzer (2008) eine wichtige Quelle für meine theoretischen

Grundlagen. Diese Quellen enthalten viele unterschiedliche Meinungen und
Sichtweisen zum Thema ‚interkulturelle Kompetenz‘, die in ihrer Heterogenität
dargestellt werden sollen.
Wissenschaftliche Beiträge aus Vietnam gibt es zu diesem Thema bislang sehr
wenige, weil in Vietnam interkulturelle Kommunikation noch nicht genau erforscht
wird. Trotzdem gibt es darüber einige gute Aufsätze von den vietnamesischen
Sprachforschern.

Außerdem

werden

in

der

vorliegenden

Arbeit

auch

englischsprachige Quellen verwendet, z. B. A Model of Intercultural Communication
Competence von Spitzberg, B. H. (2000).
In der vorliegenden Arbeit werden unterschiedliche Begriffe, die in einem engen
Zusammenhang mit interkultureller Kompetenz stehen, dargestellt und verglichen: z.
B.

Begriffe


interkultureller

Kommunikation,

Kulturbegriffe,

Identität,

Kulturstandards und Stereotype. Meine theoretische Grundlage werden von

4


unterschiedlichen Wissenschaftlern genommen. Die Beispiele werden auch gern dazu
hinzugefügt und untersucht. Durch der Verdeutlichung dieser Begriffe kann man
danach das interkulturelle Kompetenz übersichtlich erkennen und findet später für
sich selbst eine passende Lehr- und Lernmethode, mit denen man seine interkulturelle
Komptenz entwickeln kann.
In der praktischen Untersuchung werden Zielgruppe und Zielsetzung zuerst
ausgewählt und es gibt noch die Begründung dazu. Aufgaben des interkulturellen
Lernens werden dann vorgeschlagen. In den nächsten Teil wird der Schüleraustausch
2016 zwischen Fremdsprachenoberschule Hanoi und Albrecht-Thaer-Gymnasium
Hamburg analysiert. Ich werde unterschiedliche Methode des interkulturelles Lehren
und Lernen untersuchen. Die Methoden können auch miteinander verglichen wurden,
damit man passende Aufgaben für seine Schüler findet.

2.

Theoretische Grundlage


2.1.

Interkulturelle Kommunikation

2.1.1. Begriffe interkultureller Kommunikation
Interkulturelle Kommunikation geschieht in der Kommunikation, wenn zwei oder
mehr Personen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund unter Unterstützung
der Sprache unmittelbar miteinander kommunizieren. Sie beginnt mit der
unterschiedlichen Wahrnehmung der Gesprächsteilnehmer. Ein Beispiel für eine
interkulturelle Begegnung nennt Broszinsky-Schwabe: „Ein deutscher Tourist
begegnet in Afrika am Strand einem Mann, dessen wettergegerbtes Gesicht und
langer Bart den Schluss nahe legt, dies sei ein alter Mann. Er ist aber tatsächlich erst
ca. 50 Jahre alt, d. h. er erscheint nur alt. Auf die Frage, wie weit das Hotel entfernt
ist, gibt er zu verstehen, dass es nahe sei. Der Tourist muss über eine Stunde lang
laufen, war er als weit wahrnimmt. Die unterschiedliche Wahrnehmung von Raum
und Zeit in Afrika und in Europa führt zu unterschiedlichen verbalen Äußerungen
von Nähe und Ferne. Nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Interpretation

5


der Botschaften ist kulturabhängig, wie das Beispiel der Entfernung zeigt.“
(Broszinsky-Schwabe, 2011, S. 35f)
In der wissenschaftlichen Diskussion ist die Definition des Begriffs Interkulturelle
Kommunikation noch nicht einheitlich. Die grundlegendste Unterscheidung ist dabei
die zwischen einem engen Begriff und einem weiten Begriff von Interkultureller
Kommunikation (vgl. Erll/Gymnich, 2007, S. 77-79).
Der enge Begriff beschäftigt sich mit der unmittelbaren Kommunikation zwischen
den


Gesprächsteilnehmern

verschiedener

Kulturen:

„Die

Forschung

zu

interkultureller Kommunikation im engeren Sinne beschäftigt sich mit den
Kommunikationsmustern, Strategien zur Verständnissicherung und interkulturellen
Missverständnissen,

die

bei

der

Face-to-Face

Kommunikation

zwischen

Angehörigen verschiedener Kulturen auftreten können.“ (Erll/Gymnich, 2007, S. 77)
Der Linguist Hinnenkamp verwendet diesen engen Begriff für all jene

„Kommunikationsformen, die die Menschen im internationalen Kontakt zum
Ausdruck bringen – also zunächst einmal der ganze Bereich der verbalen, vokalen,
nonverbalen, paraverbalen und ausdrucksmäßigen Kommunikation“ (Hinnenkamp,
1994, S. 5).
Der weite Begriff von interkultureller Kommunikation beinhaltet „neben der
interpersonalen Interaktion auch die Ebene der mediatisierten Interkulturellen
Kommunikation in ihren verschiedenen Facetten“ (Lüsebrink, 2005, S. 8). D.h.
ausgehend von einem weiten Begriff von interkultureller Kommunikation sind auch
„die medialen Darstellungsformen Interkultureller Kommunikation in Film,
Fernsehen, Radio, Internet und anderen Medien, die Formen der alltagsweltlichen
Interkulturellen Kommunikation gleichermaßen darstellen, stilisieren und prägen,
sowie

die

interkulturelle

Ausbreitung

von

Kommunikationstechnologie

und -medien“ (Erll/Gymnich, 2007, S. 78).
Die zwei Begriffe von interkultureller Kommunikation werden in der folgenden
Tabelle zusammengefasst:

6



Tabelle 1: Begriffe von interkultureller Kommunikation (Erll/Gymnich, 2007, S. 78)
Enger Begriff

Weiter Begriff

Face-to-Face Kommunikation

Mediatisierte Kommunikation

Gespräche

zwischen

Angehörigen Film,

unterschiedlicher Kulturen
Interkulturelle

Kommunikation

Fernsehen,

Radio,

Internet,

Literatur
– Interkulturelle

vorwiegend Forschungsgegenstand der Gegenstand

Linguistik

Kommunikation
für



interdisziplinäre

Forschungsprojekte

Der Schwerpunkt dieser Arbeit, sowohl im theoretischen als auch im praktischen
Teil, liegt auf dem engen Begriff, der Face-to-Face-Kommunikation. Aber wann und
unter welchen Voraussetzungen nennt man eine Face-to-Face-Kommunikation
interkulturelle

Kommunikation?

Laut

Erll/Gymnich

tritt

interkulturelle

Kommunikation in Gesprächen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen
auf, d. h. die Gesprächsteilnehmer müssen unterschiedliche Kulturen besitzen. Es ist
nur noch nicht klar, was eigentlich mit „unterschiedliche Kulturen“ hier gemeint ist,
ob „unterschiedliche Kulturen“ unterschiedliche Nationen bedeuten? Oder sind

darunter auch die kulturellen Unterschiede zwischen den verschiedenen
Kommunikationsgemeinschaften innerhalb eines Landes oder einer Nationalität zu
verstehen? Kann z. B. ein Gespräch zwischen Männern und Frauen als eine
interkulturelle

Kommunikation

verstanden

werden?

Nach

Knapp

sind

Kommunikationsgemeinschaften „[…] soziale Gruppen, die durch regelmäßige und
häufige sprachliche Interaktion charakterisiert sind und die sich durch ihre – vor allem
sprachlichen – Symbolsysteme und kommunikativen Praktiken von anderen solcher
Gemeinschaften unterscheiden. […]“. (Karlfried Knapp, 2004, S. 415) Jeder Mensch
gehört mehreren unterschiedlichen Kommunikationsgemeinschaften (Familie,
Altersgruppe, soziale Schicht, Berufsgruppe, Verein, politische Gruppierung, lokale
Gemeinschaft, ethnische Gruppe, regionale Gemeinschaft, Nation usw.) gleichzeitig
an. (vgl. (Broszinsky-Schwabe, 2011, S. 44f.) Menschen aus unterschiedlichen
Kommunikationsgemeinschaften haben wahrscheinlich auch unterschiedliche

7



„Kulturen“ wie z. B. unterschiedliche Religionen, Gedanken, Hobbys, usw. Somit
stellt sich die Frage, ob jede Kommunikation zwischen Angehörigen verschiedener
Kommunikationsgemeinschaften bereits ,interkulturelle Kommunikation‘ ist: Kann
man die Kommunikation zwischen Männer und Frauen als interkulturelle
Kommunikation bezeichnen? Oder die zwischen Eltern und ihre Kindern, zwischen
Lehrern und Schülern, zwischen einem Nordvietnamesen und einem Südvietnamesen
usw.?
Eigentlich ist die Kommunikation der unterschiedlichen Gemeinschaften laut einigen
Wissenschaftlern keine interkulturelle Kommunikation. Laut Maletzke unterscheidet
‚Interkulturelle Kommunikation‘ sich vor allem durch das Kriterium einer gefühlten
Fremdheit von anderen Formen der Kommunikation: „Maletzke schlägt vor, von
Interkultureller Interaktion und Kommunikation zu sprechen, ‚wenn die
Begegnungspartner verschiedenen Kulturen angehưren und wenn sich die Partner der
Tatsache bewusst sind, d der jeweils andere ,anders‘ ist, wenn man sich also
gegenseitig als ,fremd‘ erlebt‘“ (Maletzke 1996, zit. nach Lüsebrink 2012, S. 7). Und
laut Bruck werden als „interkulturell […] alle Beziehungen verstanden, in denen die
Beteiligten nicht ausschließlich auf ihre eigenen Kodes, Konventionen, Einstellungen und Verhaltensformen zurückgreifen, sondern in denen andere Kodes,
Konventionen, Einstellungen und Alltagsverhaltensweisen erfahren werden. Dabei
werden diese als fremd erlebt und/oder definiert“ (Bruck 1994, zit. nach Lüsebrink
2012, S. 7). In den zitierten Passagen wird ,Fremdheit‘ zu dem Kriterium erhoben,
durch das sich interkulturelle Kommunikation von normaler Kommunikation
unterscheidet. Aber dieses Kriterium ist noch nicht ausreichend, da es – aufgrund der
Gedanken, des Alters, der Lebensweise – oft auch Missverständnisse zwischen
Männern und Frauen, Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern, Nordvietnamesen
und Südvietnamesen, usw. gibt. Dies ist gewissermaßen die ‚kleine Fremdheit‘, wenn
Menschen unterschiedlicher Kommunikationsgemeinschaften miteinander sprechen.
Aus diesem Grund ist das Kriterium der ,Fremdheit‘ zwar beachtenswert, aber noch
nicht genügend.

8



Laut Karlfried Knapp ist ‚interkulturelle Kommunikation‘ aufgrund des Kriteriums
der Sprache von anderen Formen der Kommunikation zu unterscheiden:
„Interkulturelle Kominunikation‘ ist […] interpersonale Interaktion zwischen
Angehörigen unterschiedlicher Kommunikationsgemeinschaften, die hinsichtlich der
ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und Formen sprachlichen
Handelns differieren. Solche Unterschiede bestehen auch schon zwischen
Kommunikationsgemeinschaften innerhalb einer national oder ethnisch definierten
Gesellschaft. Insofern unterscheidet sich interkulturelle Kommunikation nicht
prinzipiell von intrakultureller Kommunikation. Ein wesentliches Charakteristikum
von interkultureller Kommunikation ist jedoch damit gegeben, dass sich einer der
Kommunikationspartner normalerweise einer Sprache oder Varietät bedienen muss,
die nicht seine eigene ist.“ (Knapp 2004, S. 415).
Auch aus Sicht von Erll/Gymnich liegt es nahe, „interkulturelle Kommunikation mit
einer Verwendung von Fremdsprachen in Verbindung zu bringen“ (Erll/Gymnich,
2007, S. 79). Außerdem zitieren Erll/Gymnich die Meinung von Claus Ehrhardt, dass
die Verwendung von Fremdsprachen ein grundlegendes Kriterium für die Definition
von interkultureller Kommunikation ist: „Offensichtlich ist die Verwendung von
Fremdsprachen charakteristisch (vielleicht sogar das relevanteste Charakteristikum)
für Situationen, von denen man sagt, dass in ihnen IKK stattfindet“ (Ehrhardt 2003,
zit. nach Erll/Gymnich 2007, S. 79). Erll/Gymnich betonen aber, dass interkulturelle
Kommunikation auch dann schon gegeben ist, wenn die Gesprächspartner
unterschiedliche Varietäten einer Sprache sprechen (vgl. Erll/Gymnich 2007, S. 80).
Ein wesentliches Kriterium, um interkulturelle Kommunikation von normaler
Kommunikation zu unterscheiden, ist also der Gebrauch von Fremdsprachen oder
von unterschiedlichen Varietäten einer Sprache. Dieses Kriterium passt sehr gut zu
meiner Arbeit, weil es hier um die Kommunikation zwischen Vietnamesen, nämlich
vietnamesischen Schülern, und Deutschen geht. Für die vietnamesischen Schüler ist
Deutsch natürlich eine Fremdsprache und die Kommunikation zwischen ihnen und

den Deutschen ist eine interkulturelle Kommunikation.

9


2.1.2. Kultur
2.1.2.1. Was ist Kultur?
Laut Karlfried Knapp wird Kultur als „ein Bestand an Symbolen und Praktiken
verstanden, durch den ein zwischen Mitgliedern einer Gruppe geteiltes Wissen an
Standards des Glaubens, Deutens und Handeln in der sozialen Interaktion manifest
gemacht.“ (Karlfried Knapp, 2004, S. 414) In diesem Kontext ist Kultur eine große
Vielfalt an Symbolen und Praktiken eines Volks oder einer Gruppe. Die Symbole und
Praktiken jedes Volkes und jeder Gruppe sind anders und von Bedeutung für deren
Identität. Durch die soziale Kommunikation der Mitglieder kann man die
Unterschiede zwischen verschiedene Völkern oder Gruppen gut bemerken. Es stellt
sich hier die Frage, was genau Identität in der interkulturellen Begegnung ist. Diese
Frage wird im nächsten Kapitel behandelt.
Bei dem Begriff „Kultur“ kann man an viele unterschiedliche Sachen denken. Das
kann Kultur beim Essen, beim Anziehen, beim Kommunikationsverhalten, beim
persönlichen Denken und Handeln sein. Z. B. kann in Vietnam der Wasserbüffel ein
Symbol für Kultur sein, weil man sehr oft Wasserbüffel in vietnamesischen Filmen,
Dokumentarfilmen über Vietnam, Zeitungen oder Bildern sieht. Im Vergleich zu
anderen Ländern z. B. in Asien oder in Europa ist es ein besonderes Merkmal, das
man in solchen Ländern nicht kennt. Ein anderes Beispiel im Zusammenhang mit
dem Kommunikationsverhalten: In Vietnam ist normalerweise der Chef die
wichtigste Person, die Angestellten müssen sich ihrem Chef gegenüber immer
vorsichtig verhalten und dürfen nur selten ihre eigene Meinung in einer Diskussion
äußern.
Eine andere Definition für Kultur wurde von der UNESCO im Jahr 2001 in der 31.
Generalkonferenz herausgegeben. Diese Definition wird von Röbke zitiert: „Kultur

sollte als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen
und emotionalen Eigenschaften angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine
soziale Gruppe kennzeichnen, und sie umfasst über Kunst und Literatur hinaus auch

10


Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und
Überzeugungen.“ (UNESCO 2001, zit. nach Röbke, 1993, S. 55)
Im Allgemeinen bedeutet Kultur also eine große Vielfalt an Symbolen und Praktiken
eines Volks oder einer Gruppe, durch die sich ein Volk oder eine Gruppe von anderen
unterscheidet.
2.1.2.2. Kulturbegriffe
Lüsebrink unterscheidet drei unterschiedliche grundlegende Kulturbegriffe im
Bereich

Kulturwissenschaft:

der

intellektuell-ästhetische

Kulturbegriff,

der

materielle Kulturbegriff und der anthropologische Kulturbegriff. (vgl. Lüsebrink,
2008, S. 10)
Der intellektuell-ästhetische Kulturbegriff umfasst die Bedeutungen der Wörter
„Intellekt“ und „Ästhetik“, d. h. hier werden unter Kultur Aspekte wie „Bildung“ und

„Kunst“ verstanden. (vgl. Lüsebrink, S. 10)
Der materielle Kulturbegriff bezieht sich auf den agrarwirtschaftlichen Begriff,
weil das Wort „Kultur“ seinen Ursprung im lateinischen „cultura“, d. h. „colere“ (=
bebauen). Dies ist die älteste Bedeutung des Wortes „Kultur“. (vgl. Poerner, 2009, S.
6)
Der anthropologische Kulturbegriff wird von Poerner oder Altmayer auch als
erweiterter Kulturbegriff bezeichnet (vgl. Poerner, 2009, S. 7; Altmeyer, 2004, S. 8082). Der umfasst die kollektiven Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster einer
Gesellschaft. (vgl. Lüsebrink, 2008, S. 10) Geert Hofstede definiert Kultur im
anthropologischen Sinn als „ein kollektives Phänomen, da man sie zumindest
teilweise mit Menschen teilt, die im selben sozialen Umfeld leben oder lebten, d. h.
dort, wo diese Kultur erlernt wurde. Sie ist die kollektive Programmierung des
Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer
anderen unterscheidet“ (Hofstede, 1993, S. 19).
Alexander Thomas ist der Meinung von Hofstede und bezeichnet Kultur als ein
kollektives „Orientierungssystem“. Nach Thomas ist Kultur „ein universelles, für
eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem.

11


Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in der
jeweiligen Gesellschaft usw. tradiert. Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken,
Werten und Handeln aller Mitglieder und definiert deren Zugehörigkeit zur
Gesellschaft. Kultur als Orientierungssystem strukturiert ein für die sich der
Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld und schafft
somit

die

Voraussetzung


zur

Entwicklung

eigenständiger

Formen

der

Umweltbewältigung“ (Thomas 1993, S. 380).
Claus Altmayer (2004, S. 78ff) unterscheidet nur zwischen einem traditionellen und
einem erweiterten Kulturbegriff. Unter Kultur im Sinne des traditionellen
Kulturbegriffs ist alles zu verstehen, was Gegenstand der Kunstwissenschaften
(Kunstgeschichte,

Literaturwissenschaft,

Musikwissenschaft

usw.)

ist.

Der

traditionelle Kulturbegriff hat also die gleichen Merkmale wie der intellektuellästhetische Kulturbegriff bei Lüsebrink, und der erweiterte Kulturbegriff ist dem
anthropologischem Kulturbegriff ähnlich. D. h., die älteste Bedeutung von Kultur,
„Agricultura“, wird in diesem Fall nicht erwähnt.

Im Bereich Kommunikation gibt der amerikanische Anthropologe Gary Ferraro seine
Auffassung: Kultur ist „everything that people have, think and do as members of
society“ (zit. nach Broszinsky-Schwabe, 2011, S. 69) D. h. die Kultur beinhaltet drei
Komponenten:

materielle

Objekte;

Ideen

(Wissen),

Werte,

Haltungen;

Verhaltensmuster. Die Definition von Ferraro ist auch dem erweiterten Kulturbegriff
zuzurechnen.
Yousefi/Braun (2011, S. 13) nennen in Anlehnung an den Soziologen Andreas
Reckwitz vier verschiedene Kulturbegriffe, nämlich „normative Kulturkonzepte“,
„totalitätsorientierte

Kulturkonzepte“

(die

dem

erweiterten


Kulturbegriff

zuzurechnen sind), „differenzierungstheoretische Kulturkonzepte“ (die dem
intellektuell-ästhetischen bzw. traditionellen Kulturbegriff entsprechen) und
„bedeutungs- und wissensorientierte Kulturkonzepte“ (die ebenfalls dem erweiterten
Kulturbegriff zuzurechnen sind).

12


Der normative Kulturbegriff ist laut Yousefi/Braun (2011, S. 13) „ein nach festen
Regeln beurteilendes und wertendes Konzept. Es setzt einen Lebensentwurf nach
idealistischen Prinzipien voraus, der einen universalistischen Anspruch erheben
kann, es aber nicht muss.“ Der normative Kulturbegriff bezieht sich auf die
Lebensweise, die Art des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Die Lebensweise
einer Gesellschaft bzw. einer Gruppe wird entweder als ‚zivilisiert‘ bzw. ‚kultiviert‘
oder als ,primitiv‘ (,barbarisch‘, ,kulturlos‘) bewertet. Wenn es Konflikte zwischen
Angehörigen unterschiedlicher Kulturen gibt, passiert es sehr leicht, dass die
Konfliktparteien auf diesen normativen Kulturbegriff zurückgreifen und das
Verhalten der jeweils anderen Seite als ,unzivilisiert‘, ‚primitiv‘, ‚barbarisch‘ etc.
abwerten.
Bezüglich des erweiterten bzw. anthropologischen Kulturbegriffs unterscheiden
Yousefi/Braun in Anlehnung an Reckwitz zwischen einem totalitätsorientierten und
einem bedeutungsorientierten Kulturbegriff. Den totalitätsorientierten Kulturbegriff
definieren sie folgendermaßen: „Der totalitätsorientierte Kulturbegriff ist ein
regionalisierendes und nationalisierendes Konzept, das die spezifische Lebensform
eines Kollektivs in einer bestimmten historischen Epoche in den Vordergrund stellt
und nach dem Kulturen wie Kugeln, die aufeinanderprallen und ohne Bezug
zueinander sind, aufgefasst werden.“ (Yousefi/Braun 2011, S. 16) Wenn von ,der

deutschen Kultur‘, ,der vietnamesischen Kultur‘, ,der islamischen Kultur‘ oder von
,kulturellen Unterschieden‘ gesprochen wird, liegt fast immer dieser Kulturbegriff
zugrunde. Das Konzept der ‚Kulturstandards‘ (vgl. Abschnitt 1.4) basiert ebenfalls
auf diesem Kulturbegriff. Und dementsprechend ist auch die Praxis der IKKSeminare und -Trainings von diesem Kulturbegriff geprägt.
Dieser totalitätsorientierte Kulturbegriff ist aber sehr problematisch. Zu seinen
führenden Kritikern gehört Claus Altmayer, der dazu schreibt:
„Dieser Begriff von ‚Kultur‛, der vielen Diskussionen über Interkulturalität und
interkulturelles Lernen zugrunde liegt, ist nach meiner Auffassung im Hinblick auf
die Landeskunde und den Fremdsprachenunterricht unzeitgemäß, untauglich und

13


gefährlich. Unzeitgemäß, weil wir in Zeiten der globalen Vernetzung die Bedeutung
ethnischer und nationaler Kategorien nicht mehr so völlig einseitig in den
Vordergrund stellen sollten, wie es von diesem Verständnis von ‚Kultur‛ suggeriert
wird; untauglich, weil der Begriff eine Homogenität ethnisch-nationaler
Gesellschaften nach innen unterstellt, die es so wahrscheinlich noch nie gegeben hat,
die aber für hochkomplexe moderne Industriegesellschaften mit ihren zunehmend
hybrid werdenden Identitätsangeboten mit Sicherheit nicht mehr angemessen ist; und
gefährlich, weil der Begriff mit Pauschalisierungen auf ethisch-nationaler Ebene
arbeitet, die sich weder strukturell noch inhaltlich von Stereotypen und Klischees
unterscheiden lassen, die aber solchen Stereotypen eine pseudowissenschaftliche
Legitimation verleihen und Lerner zum Denken in stereotypisierenden und
pauschalisierenden Kategorien ermuntern.“ (Altmayer 2007, S. 18 f.)
Claus Altmayer favorisiert daher einen bedeutungsorientierten Kulturbegriff, wie er
u. a. von dem Ethnologen Clifford Geertz geprägt wurde (vgl. Altmayer 2017, S. 19).
Nach diesem bedeutungs- und wissensorientierten Kulturverständnis (vgl.
Yousefi/Braun


2011,

S.

21)

ist

,Kultur‘

ein

Vorrat

an

Mustern,

an

Bedeutungsressourcen, auf die Menschen zurückgreifen, um Situationen deuten zu
können. Mit einem Satz wie z. B. ‚Morgen um 15 Uhr haben wir eine
Arbeitsbesprechung‘ wird ein gemeinsames (?) Wissen zum Sinn und den typischen
Abläufen einer Arbeitsbesprechung aktiviert. Dies heißt aber nicht, dass sich alle
Beteiligten an die Muster halten müssen bzw. wollen bzw. werden.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es für den Begriff ‚Kultur‘ keine einheitliche
Definition gibt. Es ist aber deutlich geworden, dass für den Bereich der
Interkulturellen Kommunikation der anthropologische Kulturbegriff, der auch
erweiterter Kulturbegriff genannt wird, grundlegend ist. Hierbei wird zumeist mit
einem totalitätsorientierten Kulturbegriff operiert, nach dem die kollektiven Denk-,

Wahrnehmungs- und Handlungsmuster der jeweiligen Gesellschaft(en) das
Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Gesprächsteilnehmer in einer
interkulturellen Kommunikation beeinflussen.

14


2.1.3. Was ist Identität?
Die Identität hat drei Ebenen: „die personale Identität, die soziale Identität und die
kulturelle

Identität.

Ebenso

könnte

man

Identität

nach

personaler

und

Gruppenidentität (Wir-Gruppen) zuordnen.“ (Broszinsky-Schwabe, 2011, S. 43)
Zur personalen Identität gehört all das, was ein menschliches Individuum von
anderen Individuen unterscheidet, hier geht es um Geschlecht, Alter, Grưße,

Hautfarbe, Haarfarbe, Gewicht, Kưrper, Auftreten, usw. Die personale Identität
beeinflusst die Wahrnehmung des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin in
der ersten Kommunikation. (vgl. Broszinsky-Schwabe, 2011, S. 44) Das erste
Auftreten von unserem Gesprächspartner entscheidet wahrscheinlich, ob wir
überhaupt mit ihm kommunizieren möchten. Alles Seelische und Körperliche, was
zu einem Menschen gehört, wird personale Identität genannt.
Gruppenidentität wird auch Soziale Identität (Wir-Gruppen) oder Kollektive
Identität genannt und bedeutet „eine Übereinstimmung bzw. Identifizierung eines
Menschen mit einer sozialen Gruppe. Er teilt deren Ziele, Wertvorstellungen,
Symbole und Verhaltenweisen“. (Broszinsky-Schwabe, 2011, S. 44) Jeder Mensch
gehört zu unterschiedlichen Identitätskreisen. Laut Broszinsky-Schwabe (2011, S.
44f) sind dies:
 „Familie
 Geschlechtergruppe
 Altersgruppe (Senioren, Jugendgruppen, Kindergruppen) (demographische
Gruppe)
 Soziale Klasse, Schicht, Beruf (Arbeiter, Arzt, Bauer, Arbeitsloser ...)
 Religionsgemeinschaft
 politische Partei, Vereinigung oder Bewegung
 Verein (Kleingartenverein, Tierschutzverein etc.), Freizeitgemeinschaft
(Sport etc.)
 Lokale Gemeinschaft (Stadtteil, Kietz, Dorf etc.)
 ethnische Gruppe
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 Regionale Gemeinschaft (Küstenbewohner, Bergbauern, Bundesländer)
 Nation (Zugehörigkeit und evt. Identifizierung mit einer Heimat-Nation)“
Aus dieser Liste wird erkennbar, dass in fast jeder Kommunikation zwischen
Menschen nicht nur unterschiedliche personale Identitäten, sondern auch

unterschiedliche Gruppenidentitäten aufeinandertreffen. Wie oben erwähnt, liegt die
diesbezügliche Besonderheit von interkultureller Kommunikation lediglich darin,
dass

hier

Menschen

miteinander

kommunizieren,

die

unterschiedliche

Muttersprachen sprechen oder sich unterschiedlicher Varietäten einer Sprache
bedienen.
Arnd Uhle hat in seiner bedeutenden Münchner Habilitationsschrift Freiheitlicher
Verfassungsstaat und kulturelle Identität (2006) die folgende Definition gegeben:
„Unter kultureller Identität wird die Gesamtheit der kulturell geprägten Werte samt
der daraus resultierenden Weltsichten und Denkweisen sowie der ebenfalls kulturell
geprägten Verhaltens- und Lebensweisen verstanden, die das Eigenbild einer
Kulturgemeinschaft – namentlich einer Nation – prägen. Die so verstandene
kulturelle Identität wird sowohl durch Elemente der Zugehörigkeit zu einem
(übergeordneten) Kulturkreis als auch durch Elemente der Zugehörigkeit zu der
individuellen Kultur der betreffenden Gemeinschaft bestimmt.“ (Arnd Uhle, zit. nach
Scholz 2008, S. 35)
2.1.4. Kulturstandards und Stereotype
Ein im Bereich der interkulturellen Kommunikation sehr populäres, aber auch

vielkritisiertes Konzept ist das von dem Psychologen Alexander Thomas entwickelte
Konzept der Kulturstandards. Markowsky/Thomas (1995) definieren den Begriff der
Kulturstandards folgendermaßen: „Diejenigen Werte, Normen, Regeln und
Einstellungen in einer Kultur, die sich gerade im zwischenmenschlichen Bereich
umfassend auf Wahrnehmung, Denken, Urteilen und Handeln ihrer Mitglieder
auswirken, werden als zentrale Kulturstandards bezeichnet. Kulturstandards sind also
die spezifischen Spielregeln des gesellschaftlichen Lebens in einer Kultur.“
(Markowsky/ Thomas 1995, S. 7, zit. nach Heringer 2014, S. 190)

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Laut Thomas (1991) sind Kulturstandards „für Gruppen, Organisationen und
Nationen typische Orientierungsmaßstäbe des Wahrnehmens, Denkens und
Handelns. So wie ein Standard angibt, wie ein Gegenstand normalerweise beschaffen
zu sein hat, wie ein häufig vorkommendes Ereignis normalerweise abläuft, so legt ein
Kulturstandard den Maßstab dafür fest, wie Mitglieder einer bestimmten Kultur sich
zu verhalten haben.“ (Thomas 1991, S. 5, zit. nach Heringer 2014, S. 202)
Wie in beiden Definitionen zum Ausdruck kommt, sind Kulturstandards alle Werte,
Normen, Regeln und Einstellungen, die sich in der sozialen Interaktion der Mitglieder
der Gruppe auf deren Wahrnehmung, Denken, Urteilen und Handeln auswirken.
Sylvia Schroll-Machl beschreibt einige nach Auffassung der Autorin zentrale
deutsche ‚Kulturstandards‘ (vgl. Schroll-Machl, 2003, S. 72-89):
Sachorientierung: Die Deutschen reden direkt und sachorientiert. Sie können sich
ihre eigene Meinung zu einem Problem deutlich vorstellen.
Wertschätzung von Strukturen und Regeln: Die Deutschen brauchen eine große
Menge Regeln, Vorschriften und Gesetze, damit man seine Qualität verbessert. Die
Deutschen möchten immer die Beste erreichen. Sie suchen nicht nach Schuldigen,
sondern immer nach einer konkreten Lösung.
Zeitplanung: Die Deutschen brauchen einen genauen langfristigen Plan. Man

möchte sein Leben gut kontrollieren, mit Hilfe von einer Planung. Mit einer Planung
kann man zuerst seine Arbeit und auch seine Zeit organisieren, zum zweiten kann
man die unerwarteten Probleme vermeiden oder verringern. Am wichtigsten ist es,
dass man dadurch sein Ziel erreicht.
Internalisierte Kontrolle: Die Deutschen fühlen sich für ihre Arbeit verantwortlich.
Man hat eine starke Identifikation mit der eigenen beruflichen Tätigkeit. Die
Kollegen müssen zuverlässig sein. Außerdem erwarten die Deutschen immer, dass
ihre Kollegen schnell die eigenen Aufgaben erledigen. Wenn die Deutschen ihre
Aufgaben nicht so gut schaffen, sind sie auch mit sich selbst unzufrieden. Es geht um
die persönliche Autonomie.

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