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standards der zukunft – wohnbau neu gedacht (2008)

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W
“This page left intentionally blank.”
Roland Burgard (Hrsg.)
Standards der Zukunft -
Wohnbau neu gedacht
SpringerWienNewYork
o.Univ Prof. DI. Roland Burgard
Institut für Architektur, Universität für angewandte Kunst Wien,
Wien, Österreich
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SPIN: 12065981
Bibliograsche Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliograe; detaillierte bibliograsche Daten sind im Internet über
abrufbar.
Mit zahlreichen (großteils farbigen) Abbildungen
ISBN 978-3-221-74813-8 SpringerWienNewYork
Besonderer Dank gilt vor allem dem Leiter des Creative Centers von
BayerMaterialScience Dipl Ing. Eckhard Foltin, seinem Mitarbeiter
Dipl Chem. Dieter Boesveld und Dr. Friedhelm Böttcher, Böttcher
Consulting, welche dem Herausgeber einen ungehinderten Einblick
in Struktur und Arbeitsweise eines Industrienetzwerkes ermöglichten
und ihn bei der Arbeit durch Rat und Tat unterstützten.
DANKSAGUNG
“This page left intentionally blank.”
VII
1 Vorwort 2
Roland Burgard
2 Einführung 4
Roland Burgard
3 Zukunftshäuser der Vergangenheit – Wohnkonzepte
des 19. + 20. Jahrhunderts 14
Uta Pottgiesser
4 Deutsche Forschungslandschaft Bauen und
Stadtentwicklung 26
Bernd Meyer
5 Wohnexperimente: Würfelhäuser, Lebenszyklushäuser,
Hausmodule usw. – ein deutsches Forschungsprojekt
zum experimentellen Wohnungs- und Städtebau 36
Karin Lorenz-Hennig, Florian Mausbach

6 Büroächen zu Wohnächen?! 56
Dieter von Lüpke
7 Solar Decathlon – Das Siegerprojekt der Technischen
Universität Darmstadt 68
Manfred Hegger, Barbara Gehrung, Isabell Schäfer
8 Haus der Zukunft 78
Herbert Greisberger, Michael Paula, Theodor Zillner
9 Wiederentdeckung des Holzbaus im urbanen Kontext –
das Beispiel Wien 86
Wolfgang Winter
10 Wohngruppen für Fortgeschrittene? 104
Roland Burgard im Gespräch mit Raimund Gutmann
11 Die Bedeutung gemeinschaftlicher Wohnprojekte
für die Bildung sozialer Netzwerke 116
Hubert Burdenski
12 Future Construction 126
Friedhelm Böttcher
13 Visions of Water 2020 136
Eckhard Gransow
14 Innovative Industrieprodukte für den Wohnungsbau 152
Dieter Boesveld, Andrea Maier-Richter
INHALT
VIII
15 Innenarchitektur von morgen schon heute umgesetzt 160
Martin Funck
16 Das Haus der Gegenwart, München – der Herausforderer 168
Roland Burgard
17 Bergkristall und Lärchenholz – Intelligentes
Ernergiemanagement für die Reihenhausgruppe
„Im Bächli“, Teufen 174

Roland Burgard
18 Holz und Kunststoff – geht denn das? – Ein Wochenendhaus
am Grimnitzsee in Althüttendorf/Brandenburg 178
Roland Burgard
19 Aus einem Guss – Das Patchwork-Haus in Müllheim, Baden 182
Christoph Kuhn
20 Unter Dach und Fach – Das Didden Dorp in Rotterdam 184
Roland Burgard
21 Tatanka – das Experiment fängt beim Namen an.
Eine Villa in Innsbruck, Hungerburg 186
Roland Burgard
22 Gediegene Frivolität – Das Haus T in Graz 188
Roland Burgard
23 Aus eins mach zwei! Ein Lebenszyklushaus –
Das Haus C. in Graz 192
Roland Burgard
24 Nachhaltigkeit im Angebot– Das Textilhaus von Feldkirch,
Vorarlberg 194
Roland Burgard
25 Alpenpanorama inklusiv – „Oasis“, Salzburg 196
Roland Burgard
26 Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München –
das Experiment Punkthausfeld 200
Roland Burgard
27 Beton in seiner schönsten Form – Mustersiedlung (9 = 12)
in Hadersdorf, Wien 208
Roland Burgard
28 PUZZLE – ein Superblock für die Donaucity, Wien 218
Niels Jonkhans
Technischer Anhang 224

Autoren 228
2
„Standards der Zukunft – Wohnbau neu gedacht“, ein unprätentiöser,
gleichwohl anspruchsvoller Titel für ein zentrales Thema, das Öffent-
lichkeit und Fachwelt derzeit umtreibt. Wie wohnen? Heute eine Fern-
sehreportage über die Slums in Mumbai, morgen ein Bericht über
das Wohnen auf dem Wasser in einer Tageszeitung, übermorgen ein
Radioessay über Juppies im Boardinghouse, dann eine Dokumenta-
tion über eine Ökosiedlung in Vorarlberg und so weiter und so fort.
Auch vergeht kaum eine Woche, in der nicht in einem Symposium,
Kongress oder einer Diskussionsrunde über das Wohnen in der Zu-
kunft neu nachgedacht wird.
Was macht dieses Thema so interessant? Sind es unbefriedigende
Wohnverhältnisse und Zukunftsängste wegen bevorstehender Ver-
änderungen durch Überalterung, Bevölkerungsrückgang und Integra-
tion von Zuwanderern? Ist es einfach die Sehnsucht nach Heimat in
einer vom ständigen Wechsel geprägten Welt? Oder ist es die Dyna-
mik, welche von einer Individualisierung und Internationalisierung der
Gesellschaft ausgeht und völlig neue Möglichkeiten und Perspekti-
ven eröffnet? Kurzum: Sind es die Risiken oder die Chancen, welche
die Beschäftigung mit dem Thema Wohnen so spannend machen?
Geht es um das Wohnen, so gibt es keine Laien; jedermann besitzt
eine persönliche Expertise. Der Wohnungsbau ist nicht nur eine deli-
kate, sondern auch eine äußerst komplexe Aufgabe. Zunächst ist der
Wohnungsbau eine Domäne der Politik, denn ihr obliegt die Daseins-
vorsorge, in welcher die Ressorts Raumordnungs-, Planungs-, Sozial-
und Wirtschaftspolitik aufeinander treffen. Sie hat die Koordinaten für
die Zukunft des Gemeinwesens vorzugeben. Das Wohnungswesen
ist aber auch ein Volumenmarkt. So haben schon kleine Verände-

rungen bei den Rahmenbedingungen große Auswirkungen auf die
gesamte Volkswirtschaft. Doch der Wohnungsbau ist nicht nur die
politischste und die umfangreichste aller Bauaufgaben, sondern auch
eine Gemeinschaftsaufgabe, in welcher sich Financiers, Bauherrn
und Nutzer, Architekten, Ingenieure und ein ganzes Heer ausführen-
der Firmen zusammennden. Sieht man von der Villa als Mittel zur
Selbstdarstellung eines einzelnen Bauherrn einmal ab, so bedeutet
der Wohnungsbau das Zusammenführen konkurrierender Einzelinte-
ressen unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit.
In der Tat nimmt der Wohnungsbau immer noch eine zentrale Stel-
lung im Bauwesen ein, weswegen es sich besonders lohnt, dessen
Zukunftsperspektiven genauer zu betrachten. Doch um das Thema
nicht ausufern zu lassen, hat sich der Herausgeber eine Einschränkung
auferlegt. Denn anders als im Gewerbebau, wo die Globalisierung
1
VORWORT
Roland Burgard
Jeder wohnt: die patriarchalische
Großfamilie
Jeder wohnt: die moderne Klein-
familie
Jeder wohnt: der Häftling in der
Justizvollzugsanstalt
längst zur Angleichung von Standards geführt hat, werden vermutlich
auch in Zukunft kulturelle Eigenarten, politische Vorgaben vor Ort und
tradierte Vorgehensweisen den Wohnungsbau bestimmen. Deswe-
gen wird sich die Darstellung der Anstrengungen um einen zukunfts-
fähigen Wohnungsbau auf die kontinentale Mitte des europäischen
Raums beschränken.
Diese soll jedoch unter drei ganz unterschiedlichen Blickwinkeln er-

folgen:
• Da sind die demokratisch verfassten Gemeinwesen, die, dem
Kraftfeld von Regierung und Opposition ausgesetzt, ihre Zu-
kunftsplanungen auf dem Sockel solider Datenerhebungen durch
Forschungsarbeiten sowohl zu konkreten als auch zu abstrakten
Fällen absichern.
• Auch die Freie Wirtschaft bedient sich bei Produktentwicklungen
für die Märkte von morgen wissenschaftlich abgesicherter Ver-
fahren. In der Regel entstammen diese jedoch der Futurologie,
Marktforschung und Projektentwicklung. Doch ihr Erfolg misst sich
vor allem an der Reaktionszeit auf Marktveränderungen und der
Fähigkeit, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, um im Wettbe-
werb zu bestehen.
• Und schließlich gibt es die freien Berufe, die Architekten, Inge-
nieure und Konsulenten, die, lediglich vom Urheber- und Nut-
zungsrecht dürftig geschützt, ihre Ideen in Architekten- und Bieter-
wettbewerben und Fachpublikationen öffentlich machen und so
die Entwicklung vorantreiben
Aus einem reichhaltigen Kosmos von Forschungsarbeiten, der von
der EU, Bund, Ländern und Gemeinden, privaten Unternehmen und
Individuen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Holland ge-
tragen wird, wurden für dieses Buch beispielhaft Forschungsfelder
herausgegriffen, an denen in knapper Form Aufgabenstellung, Bear-
beitungsmethode, Ergebnis und Auswertung erkennbar sind.
Ein Vergleich der drei Gruppen von Forschungsarbeiten, die meist
völlig unabhängig voneinander bearbeitet wurden, soll Gemeinsam-
keiten und Unterschiede zu Tage fördern und vor allem klären, ob
nicht verborgene Synergieeffekte genutzt werden könnten.
Die meisten in dieses Buch aufgenommenen Beispiele sind keine
Utopien mehr, haben den Status von Visionen längst hinter sich ge-

lassen und sind durch das Fegefeuer der Realisierung geläutert. Den-
noch sind sie noch nicht Gemeingut, sondern beispielgebend für die
Zukunft.
3
Vorwort
Jeder wohnt: der Kunstsammler
Jeder wohnt: der Dauercamper
So startete der neu gegründete
Förderverein der Bundesstiftung
Baukultur seine Netzwerkkampagne
unter dem Motto „Jeder wohnt und
wie wohnt Deutschland morgen?“
4
Diese Anekdote kennt jeder Architekt: Der Bürochef übergibt sei-
nem Mitarbeiter eine neuartige Bauaufgabe. Der quittiert sie mit
dem Hinweis, er müsse zunächst ein gründliches Research machen.
Als geraume Zeit später immer noch kein Ergebnis vorliegt, ist die
Begründung schnell gefunden: „Kunst braucht Zeit“. Wahr oder gut
erfunden, eines macht die Geschichte deutlich: Die Normalität des
Architektenalltags lässt weder für das Forschen noch für die Baukunst
allzu große Freiräume. Trotzdem stellt sich die Frage:
Wie steht es um Forschungsergebnisse für die Praxis, sind sie brauch-
bar, verlässlich und jederzeit verfügbar?
Gebäude im Allgemeinen und Wohnimmobilien im Besonderen stel-
len langfristige Investitionen dar. Ihre Abschreibungszeiten dauern bis
zu 50 Jahre, und die Lebenszyklen reichen weit über 100 Jahre hinaus.
Da liegt es auf der Hand, zukünftige Entwicklungen im Auge zu behal-
ten und Gedanken über die Zukunftsfähigkeit von Bauten anzustel-
len. Dabei dürfen folgende Fakten nicht übersehen werden: Seitdem
sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die bürgerliche Kleinfamilie als

dominierende Gesellschaftsform etabliert hat, unterliegt der Massen-
wohnungsbau einem Evolutionsprozess; selbst die revolutionären
Wohnbauexperimente in den 20er, 30er und 60er Jahren konnten dem
nichts Entscheidendes entgegensetzen. Doch jetzt stehen große Än-
derungen bevor, denn durch das Zusammentreffen demograscher,
soziologischer, ökologischer und ökonomischer Faktoren, vor allem
aber durch die veränderte Rolle der Frau in Familie und Arbeitswelt
und eine fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft hat eine
neue Epoche begonnen. Hierdurch erhöht sich der Druck, und mit ihm
beschleunigen sich die Umwälzungen. Dies haben nicht nur die Re-
gierungen erkannt, sondern auch einige Vordenker in der Industrie,
ebenso wie private Auftraggeber und eine Avantgarde in der Archi-
tekten- und Planerzunft. Wie bereiten sie sich auf die kommenden Auf-
gaben vor, und welche Werkzeuge benützen sie hierfür?
DIE FORSCHUNGSLANDSCHAFT UND IHRE FÖRDERER
Weil die Arbeit an Zukunftsentwicklungen weit über den Horizont des
Tagesgeschäftes hinaus reicht, muss diese vornanziert werden. In vie-
len Fällen ist dies nicht möglich. Wenn beispielsweise die Wirtschafts-
kraft der Beteiligten gemessen an der Größe der Aufgabe nicht aus-
reicht oder das Erfolgsrisiko für die Beteiligten zu ungewiss ist, und das
Projekt auch sonst keine Realisierungschancen besitzt, dann kann ihm
durch öffentliche oder private Förderung zum Erfolg verholfen wer-
2
EINFÜHRUNG
Roland Burgard
den. Hierzu steht eine umfangreiche Forschungsförderungslandschaft
bereit, die von einer Vielzahl supranationaler, nationaler, kommunaler
und privater Institutionen getragen wird und bemerkenswert vielfältig
ist. In seinem Artikel „Deutsche Forschungslandschaft Bauen und Stadt-
entwicklung“ beschreibt Bernd Meyer die Struktur und Wirkungsweise

der klassischen staatlichen Forschungsförderung des Bundes. Seine
Hinweise über Netzwerke und Fördermöglichkeiten dehnt er auch auf
den Bereich der privaten Stiftungen aus, die sich mit Städtebau und
Wohnungswesen befassen. Die Verhältnisse in Österreich sind nicht
unähnlich, denn auch dort sind auf Bundesebene mehrere Ressorts mit
der Wohnbauforschung befasst. Darüber hinaus bieten beide Länder
durch ihren in die drei Stufen Bund, Länder und Gemeinden geglie-
derten Staatsaufbau weitere Möglichkeiten, auf Forschungsetats zu-
zugreifen. Ebenfalls bedenken beide Länder Forschungsprojekte, die
kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Verbindung mit Planern und
Instituten erbringen, mit Zuwendungen. Auf Steuervergünstigungen
und Förderungen für politisch gewollte Maßnahmen soll in diesem
Zusammenhang jedoch nicht eingegangen werden. Dass große Un-
ternehmen ihre Forschungen meist ohne öffentliche Mittel nanzieren,
liegt auf der Hand. Schließlich wollen sie sowohl bei der Zieldenition,
der Forschungsmethode als auch der Verwertung der Ergebnisse frei
und unabhängig bleiben. Dasselbe gilt für viele fortschrittliche private
Bauherren, die mit eigenem Kapital durch Experimente baukünstle-
rische und technische Innovationen voranbringen
WIRD DIE ZUKUNFT „BERECHENBAR“? –
METHODEN, DIE ZUKUNFT ZU ERFORSCHEN
Um der Zukunft ihre Geheimnisse entreißen zu können, haben in den
40er Jahren des letzten Jahrhunderts die Arbeiten von Ossip K. Flecht-
heim (Abb. 1) zur Entwicklung der Wissenschaft der Futurologie ent-
scheidend beigetragen. Heute umfasst sie je nach Zählart zwischen
50 und 300 Methoden. Diese lassen sich vereinfacht dargestellt in die
Kategorien „explorative Verfahren“, „normative Vorausschau“ und
„induktive“ Verfahren einteilen. Selbstverständlich sind diese Verfah-
ren nicht auf die Zukunftsforschung beschränkt, sondern nden sich
auch in anderen Disziplinen.

Die Gruppe der „explorativen Verfahren“ extrapolieren Zukunfts-
trends anhand von Zeitreihenuntersuchungen, wobei auch auf his-
torische Analogien zurückgegriffen werden kann. So wird beispiels-
weise davon ausgegangen, dass technische Entwicklungen analog
ablaufen und man deswegen aus vorangegangenen Ereignissen Ent-
wicklungen für die Zukunft ableiten kann. Uta Pottgießer hat mit ihrem
Beitrag „Zukunftshäuser der Vergangenheit – Wohnkonzepte des 19.
+ 20. Jahrhunderts“ die nach dem russischen Volkswirtschafter Nikolai
Dmitrijewitsch Kondratieff benannten Konjunkturwellen (Kondratieff-
Zyklen) auf Übereinstimmung mit dem Auftreten von Wohnbauvisio-
nen untersucht. Hierbei hat sie die interessante Erkenntnis zutage ge-
fördert, dass diese gerade in Zeiten sozialer, gesellschaftlicher und
5
Einführung
1
Ossip K. Flechtheim um 1990
wirtschaftlicher Missstände entstehen. Darüber hinaus lässt sich aus
ihren Darstellungen ablesen, dass Bahn brechende Neuerungen im
Wohnungsbau sich zeitverzögert durchsetzen.
Als besonders wichtige Planungs- und Prognosetechnik hat sich die
„Szenariotechnik“ erwiesen, die der „normativen Vorausschau“ zuge-
ordnet werden kann. Sie erzeugt bezogen auf einen Untersuchungs-
gegenstand logisch-kausale Zusammenhänge durch Zusammenstel-
len von Annahmen über mögliche Abfolgen von Ereignissen und leitet
daraus Szenarien als eine ganze Skala möglicher und gleichwertiger
Zukunftsbilder ab. Dabei ist der Einsatz mathematischer Verfahren
durchaus üblich. Auf diese Weise entstehen sehr konkrete Vorstellun-
gen über die Zukunft. Die Analyse und Auswahl von Zukunftsoptio-
nen bietet so nicht nur die Möglichkeit, Prognosen über die Zukunft
zu erstellen, sondern sie auch noch aktiv zu gestalten.

Welches Potenzial das Arbeiten mit Szenarien in sich birgt, bewies der
1968 gegründete Club of Rome mit seinem ersten 1972 erschienenen
Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, welcher Politik und Öffentlich-
keit die Dringlichkeit eines Wertewandels vor Augen führte.
Seither bedient sich die Politik ebenso wie die Industrie immer häu-
ger der Szenariotechnik. Hierfür sind die Berichte von Friedhelm
Böttcher über das „Future Living“-Programm, Eckhard Gransow von
der Grohe AG über das „Visions of Water 2020“-Programm und
Andrea Maier-Richter und Dieter Boesveld von BayerMaterialScience
über das „Future Construction“-Programm hervorragende Belege.
Gerade den Architekten ist das „induktive Verfahren“ geläug, denn
gleicht nicht auch ihr Entwurfsprozess einem Brainstorming, das mit
kreativem Fabulieren beginnt, sich das freie Spiel der Gedanken
nutzbar macht und schließlich rational geltert und analysiert zur
Grundlage für ein Zukunftsbild wird? Seitdem in den 60er Jahren
des letzten Jahrhunderts das Experimentelle Entwerfen in den Archi-
tekturschulen seinen Einzug gehalten hat, ist das induktive Verfahren
nicht mehr nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Endergebnis,
sondern Entwurfsmethode, wovon besonders die in den letzten Jah-
ren fertig gestellten Bauten von Peter Cook (Abb. 2), Future Systems
(Abb. 3) oder UN Studio (Abb. 4) zeugen. Um die mögliche Flut von
Beispielen der privaten Forschungslandschaft nicht ausufern zu las-
sen, konzentriert sich die Auswahl der Wohnbauexperimente auf
ein- und zweigeschoßige Musterhäuser, drei Mustersiedlungen und
einen Musterblock. Die aufgeführten Beispiele sind keine Gedan-
kengebäude mehr, sondern haben einen hohen Realitätsbezug, sind
schon fertig gestellt oder könnten jederzeit begonnen werden.
VERTRAUEN IST GUT, KONTROLLE IST BESSER –
DAS EXPERIMENT
Voraussetzung für jegliche Art von Forschungsförderung ist die Er-

folgskontrolle. Hierfür stellt die Wissenschaft die Methode des klas-
sischen Experiments bereit. Sie ermöglicht Aussagen zur Beziehung
zwischen Ursache und Wirkung und zieht Schlussfolgerungen. In der
6
Roland Burgard
2
Kunsthaus Graz – Spacelab Cook-
Fournier
Bauforschung hingegen kommt meist das technische Experiment zur
Anwendung. Dieses bewertet die Beziehung zwischen Zweck und
Mittel und hat darüber hinaus die didaktische Aufgabe, durch Nach-
betrachtung beispielgebend und reproduzierbar zu sein. Ähnlich
nalorientiert sind Experimente und Techniken von Industrie und Ge-
werbe, Zukunftsmärkte zu erschließen. Doch wird gerade hier darauf
geachtet, dass sich eventuelles Scheitern im Rahmen des unterneh-
merischen Risikos bewegt. Ganz anders verhält sich die Bauästhe-
tikforschung, eine junge Disziplin der Architektur, die sich der freien
Kunst verpichtet fühlt, sich avantgardistisch verhält und bewusst
in Kauf nimmt, vor der allgemeinen Akzeptanz zunächst von einem
Großteil des Publikums zurückgewiesen zu werden (Abb. 5–10). Nicht
ohne Grund fragte Wolfgang Bachmann im „Baumeister“ einmal sei-
ne Leser, ob Experimente gemütlich sein könnten. Natürlich war seine
Frage rhetorisch gemeint. Experimente sind niemals gemütlich, denn
ihre Ergebnisse sind selten prognostizierbar. Und wenn sich unange-
nehme Konsequenzen daraus ergeben, so ist dies schließlich system-
immanent.
DIE DREI FORSCHUNGSMOTOREN –
ÖFFENTLICHE HAND, INDUSTRIE UND PRIVATE
Aus einem riesigen Kosmos von Forschungsarbeiten und Publikatio-
nen wurden repräsentative Forschungsfelder über den Neubau von

Wohnungen herausgegriffen, an welchen in knapper Form Aufga-
benstellung, Bearbeitungsmethode, Ergebnis und, sofern möglich,
deren Auswertung erkennbar ist. Wobei angemerkt werden muss,
dass nicht nur die Qualität des Einzelbeispiels entscheidend war,
sondern dessen Eignung als Prototyp innerhalb der drei Forschungs-
motoren Öffentliche Hand, Unternehmen und Privatpersonen.
Die Öffentliche Hand
Für die Forschungsarbeiten der Öffentlichen Hand wurden aus den
beiden großen Forschungsprogrammen in Deutschland und Öster-
reich der „Experimentelle Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) des
Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung und das „Haus der
Zukunft“ des Österreichischen Ökologie Institutes ausgewählt, die
gegensätzlich sind und sich trotzdem gut ergänzen. Denn während
die Nachverdichtung der Städte im Vordergrund der deutschen
Stadt- und Regionalplanung steht, ist in Österreich vor allem auch die
ökologische Stadterweiterung ein Thema.
Seit langem wird die österreichische Forschungslandschaft von öko-
logischem Gedankengut bestimmt, und das nicht ohne Grund, wie
Herbert Greisberger, Michael Paula und Peter Zillner berichten. Des-
wegen wird der Entwicklung des Passivhauses besondere Aufmerk-
samkeit geschenkt. Interessant ist hierbei, dass Holz nun als Baustoff
aus funktionalen Gründen eingesetzt wird und nicht mehr, um eine
bewusst ökologische Bauweise zu demonstrieren. Da das Passivhaus
7
Einführung
3
Selfridges Department Store Birming-
ham UK – Future Systems
4
Mercedes-Benz Museum Stuttgart

– UN Studio
5
Baukünstlerische Experimente zu
Wasser: „Floating Homes“ – Förster
Trabitzsch
als Einfamilienhaus mittlerweile Serienreife erlangt hat, strebt man
jetzt bei seiner 4-geschoßigen Variante die Technologieführerschaft
an, wobei die Verwendung von Holz für die Tragkonstruktion einen
bedeutenden Innovationsschritt darstellt.
Dem gegenüber stellen Karin Lorenz- Hennig und Florian Mausbach in
ihrem Bericht über das vom Bundesamt für Bauwesen und Raumord-
nung durchgeführte ExWoSt- Forschungsprogramm „Kostengünstige
und qualitätvolle Reihenhäuser in prosperierenden Regionen“ den
Stadtumbau in den Vordergrund. Am Beispiel des Reihenhausbaus
wird das brandaktuelle Thema an sechs über die gesamte Bundesre-
publik Deutschland verteilten Standorten mit sechs unterschiedlichen
Konzepten durchexerziert, die von neuen Siedlungsformen über or-
ganisierten Selbstbau, standardisierte Häuser, Baugruppenmodelle
bis zum Lebenszyklushaus reichen.
Zwar gibt es in Frankfurt am Main keine ungenutzten Brachächen in
der Stadtmitte, dafür stehen Bürohäuser leer. Angeregt von der erfolg-
reichen Umnutzung einzelner Bürohäuser in Wohngebäude in Ham-
burg, Hannover und München wurde von privaten Investoren das Anlie-
gen an den Magistrat herangetragen, dies auch am Main in größerem
Maßstab zu versuchen. Dieter von Lüpke stellt seinen Bericht über das
ungewöhnliche Experiment, welches sich derzeit in Frankfurt am Main
anbahnt, unter die Überschrift „Büroächen zu Wohnächen?!“. Doch
spricht nicht schon aus dem Titel eine gewisse Skepsis?
Jugendlicher Optimismus, ein neues Bewusstsein und ein damit ein-
hergehendes verändertes Menschenbild führte in den 70er Jahren

des letzten Jahrhunderts zu dem österreichischen Partizipationsmo-
dell. Hieraus haben sich in den folgenden Jahren zwei interessante
Wohn- und Bauformen entwickelt, bei denen sich Wohnungssuchen-
de privat zusammenschließen, um qualitätvollere Wohnformen zu re-
alisieren. Raimund Gutmann, der die Entwicklung des Wohngruppen-
modells von Anbeginn an miterlebte, geht in einem Gespräch mit
dem Herausgeber der Frage nach, ob selbst organisierte Hausge-
meinschaften, Bau- oder Wohngruppen eine Antwort auf die demo-
graschen und sozialen Herausforderungen sind. Auch das Baugrup-
penmodell baut auf der Privatinitiative auf. Allerdings greifen hier
die Bauwilligen aktiv in die Nutzungs- und Architektenplanung ein. In
den letzten zehn Jahren hat es sich in der Schweiz und im deutschen
Südwesten gut entwickelt und sich seither über ganz Deutschland
verbreitet. Die Gemeinden unterstützen diesen wichtigen Zwischen-
schritt vom staatlich geförderten zum privaten Experiment durch Be-
reitstellung von preiswertem Baugrund. Rainer Burdinski gilt in Frei-
burg im Breisgau, einer Hochburg des Baugruppenmodells, als eine
der Triebfedern dieser Bewegung. Aus seinem Erfahrungsbericht „Die
Bedeutung gemeinschaftlicher Wohnprojekte für die Bildung sozialer
Netzwerke“ kann entnommen werden, wie „das blaue Haus“, das
erste gemeinschaftliche Wohnprojekt im Geschoßwohnungsbau, in
Freiburg entstand, was bei einem Baugruppenmodell zu beachten ist
und wie sich daraus soziale Netzwerke entwickeln können. Darüber
machen seine Ausführungen deutlich, dass sich den Architekten beim
Baugruppenmodell ein neues Leistungsbild eröffnet.
8
Roland Burgard
Doch was wäre ein Bericht über Forschungslandschaften ohne den
Beitrag einer Universität. Internationales Aufsehen erregte der sieg-
reiche Wettbewerbsbeitrag der TU Darmstadt beim „Solar Decath-

lon“ in Washington DC, welcher als Studienarbeit im Fachgebiet
Entwerfen und Energieefzientes Bauen, Prof. Manfred Hegger, ent-
standen ist. Hier wurde das traditionelle Spektrum von Forschung
und Lehre durch die Mitwirkung von Praktikern und Unternehmen
9
Einführung
6
Baukünstlerische Experimente zu Lande: Seoul Commune 2026: Rethinking “Towers in the Park”,
Darstellung der Verteilung der Funktionen – Design Team: Mass Studies, Minsuk Cho
7
Farbliche Darstellung der Gebäude-
funktionen zu „Körper“, „Seele“ und
„Verstand“
8
Schnitt durch einen Turm
9
„Towers in the Park“, Ansicht von der
Wasserseite
erweitert. Manfred Hegger, Barbara Gehrung und Isabell Schäfer be-
schreiben, wie es möglich ist, ein Haus zu bauen, mit dem genau so
viel Solarenergie erzeugt werden kann, wie dies für seinen Betrieb
nach dem aktuellen US-Lebensstandard erforderlich ist. Gemeinsam
ist den in diesem Kapitel beschriebenen Projekten ihre Einbettung
in politische Programme und Szenarien. Wie aber geht die Industrie
vor, die nicht nur Bedürfnisse befriedigen muss, sondern auch Markt-
anreize schaffen will?
Die Industrie
Immer mehr Unternehmen verlagern den Schwerpunkt der Produk-
tentwicklung weg von der spekulativen Wette auf die Zukunft oder
der überkommenen Marktforschung auf innovative Werkzeuge wie

den Aufbau von Branchennetzwerken, das Wissens- und Innovati-
onsmanagement und die Werkzeuge der Futurologie. So auch ein
gutes Dutzend mittelständischer und Großunternehmen der Bau- und
Grundstofndustrie, die sich 2004 um das Creative Center von Bayer-
MaterialScience zu einem Firmennetzwerk zusammengeschlossen
haben, um sich auf den Wohnungsmarkt der Zukunft vorzubereiten.
BayerMaterialScience setzt mit dieser Innovation eine Firmentradition
fort, denn mit den legendären Ausstellungen, die Bayer in den späten
60er und frühen 70er Jahren unter dem Namen Visiona anlässlich der
Kölner Möbelmesse ausrichtete, ging Bayer in die Geschichte der
Innenarchitektur ein (Abb. 11–17).
Unter der Leitung von Friedhelm Böttcher wurde in einer ersten Se-
quenz von Workshops das Szenario „Future Living 2020“ entwickelt. In
einer zweiten Workshopserie zum Thema „Future Construction“ wur-
den die Grundlagen für die Entwicklung neuer Bauprodukte gelegt.
10
Roland Burgard
10
Baukünstlerische Experimente in der
Luft. Baumhaus Plendelhof, Bassum
bei Bremen – baumraum Andreas
Wenning
Mit den auf der Szenariotechnik aufbauenden Beispielen kann der
neue Weg von der Idee bis zum neuen Produkt nachvollzogen wer-
den. Eckhard Gransow, Grohe AG, beschreibt das „Visions of Water
2020“-Programm. Dieter Boesveld und Andrea Maier-Richter, Bayer
MaterialScience, berichten über „ Innovative Industrieprodukte für
den Wohnungsbau“ und ausgewählte Beispiele zukunftsweisender
Materialien.
Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts erdachten sich die Archi-

tekten des deutschen Expressionismus, wie z.B. Erich Mendelsohn,
Architekturformen, die auf Freiformächen basierten. Doch schei-
terten sie meist bei der Umsetzung ihrer Ideen. Erstens waren die Ma-
terialien zur kompromisslosen Umsetzung nicht verfügbar, und zwei-
tens war die handwerkliche Bearbeitung der komplexen Formen zu
schwierig. Für beide Probleme gibt es heute erste Lösungsansätze.
Martin Funck von Rosskopf und Partner gibt mit seiner Anleitung „In-
nenarchitektur von morgen schon heute umgesetzt – Erfahrungen und
Empfehlungen für den Umgang mit innovativen Materialien“ einen
interessanten Einblick in den Bereich „Forschung und Entwicklung“
(FuE) eines mittelständischen Unternehmens und belegt das einzig-
artige Know-how durch die Umsetzung kompliziertester Entwürfe
von Zaha Hadid und Ron Arad.
Die Privaten
Im letzten Kapitel nden sich die informellen Experimente privater
Bauherrn und ihrer Architekten wieder. Die Wahl el nicht auf Traum-
häuser oder Ergebnisse vordergründiger Selbstdarstellung, sondern
auf eine Reihe von Projekten, welche vom heute noch gültigen Kli-
schee ihres Bautyps abweichen, das persönliche Prol ihres Bauherrn
abbilden, Merkmale von Zukunftsfähigkeit in sich tragen und deswe-
gen Beispielcharakter haben. Entsprechend ihres Bautyps wurden sie
in die drei Kategorien „Musterhäuser, „Mustersiedlungen“ und „Mus-
terblock“ eingeteilt.
11
Einführung
11
Modell der Wohnlandschaft Visiona 1, die 1969 im Rahmen der Kölner Möbelmesse präsentiert
wurde. Entwurf: Joe Colombo
12
Blick vom Küchenblock auf die

Wohnlandschaft
14
Schlafzelle
13
Wohnlandschaft mit Blick auf die
Nasszelle (links) und den Küchen-
block (rechts)
Neun Musterhäuser
In der Kategorie Musterhäuser musste die Beispielut eingedämmt
werden. Besonderes Augenmerk wurde neben der Entwurfskon-
zeption auf das thermische Verhalten, Kosten und Anmutung gelegt,
alles Eigenschaften, für die man auch den Begriff Nachhaltigkeit ver-
wenden könnte. Herausforderer für das aus neun Bauten bestehen-
de, dicht geschlossene Feld von Musterhäusern ist das von Allmann
Sattler Wappner entworfene „Haus der Gegenwart“ in München,
welches den „state-of-the-art“ des technischen Ausbaus in Verbin-
dung mit der Leichtbauweise dokumentiert. Doch es gibt auch nicht
minder attraktive Alternativen vor allem dann, wenn es darum geht,
dem Äußeren der Tristesse der Putzfassade im Wohnungsbau Inter-
essantes entgegenzusetzen. Hier zeigen die ausgewählten Beispiele
eine ganze Palette für den Bau geeigneter Kunststoffe, die aufgrund
ihrer Preiswürdigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten noch große Ent-
wicklungspotenziale in sich bergen.
Drei Mustersiedlungen
Der Kategorie Mustersiedlungen wurden drei Projekte zugeordnet.
Die beiden österreichischen Projekte – die „Oasis“ in Salzburg und
die „Mustersiedlung 9 = 12“ in Wien-Hadersdorf – stellen nicht nur
hinsichtlich ihrer städtebaulichen Konzeption Gegensätze dar. In
Salzburg hüllt sich die Baukonstruktion der beiden von Rieder Tscha-
peller Wörndl entworfenen Zeilenbauten aus Betonfertigteilen und

Holz in eine Haut aus Kunststoffmembranen ein, was dem mächtigen
Baukörper Heiterkeit verleiht. In der von Adolf Krischanitz konzipierten
Mustersiedlung Hadersdorf hingegen prägt der Sichtbeton in allen
nur erdenklichen Ausführungsarten und Texturen das Erscheinungs-
bild der zehn Punkthäuser, welche von neun unterschiedlichen Archi-
tekten entworfen wurden. Anspruch und Ergebnis orientieren sich an
den berühmten Werkbundsiedlungen der Vorkriegszeit. Ähnliches
hatten die Initiatoren des Deutschen Werkbund Bayern mit dem Pro-
jekt „Werkbundsiedlung Wiesenfeld“ in München vor. Auch dieses
Projekt baute auf einem vergleichbaren städtebaulichen Prinzip auf,
doch war es im Maßstab zehn Mal größer. Hier sollten 400 Wohnein-
heiten auf dem Siegerentwurf des japanischen Architekten Sakamoto
aufbauend von zwölf unterschiedlichen Architekten im Auftrag von
sieben Wohnungsbaugesellschaften und dazu noch in einem engen
nanziellen Korsett errichtet werden. Ein Vergleich der Mustersiedlung
Hadersdorf mit der Werkbundsiedlung Wiesenfeld belegt die räum-
liche Vielfalt und Qualität von Punkthausfeldern. Bedauerlicherweise
ist die Realisierung der „Werkbundsiedlung Wiesenfeld“ gescheitert.
Dennoch kann man aus deren Planungsgeschichte lernen: In scho-
nungsloser Offenheit zeigt sie auf, wie beschränkt die Möglichkeiten
privater Initiativen sind, wenn die politische Unterstützung fehlt.
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Roland Burgard
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Blick aus der Nasszelle auf die
Schlafzelle
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Wohnlandschaft Visiona 2 im Rahmen
der Kölner Möbelmesse 1970. Ent-
wurf: Verner Pauton

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Wohnlandschaft Visiona 3 im Rahmen
der Kölner Möbelmesse 1971. Ent-
wurf: Olivier Morgue
Ein Musterblock
Wien ist die Stadt der historischen Superblocks, der spektakulären
Dachbodenausbauten und des geförderten Wohnungsbaus, um wel-
chen die Architekten diese Stadt weltweit beneiden. Jetzt bereichert
MVRDV mit einem radikalen Experiment die Szene, das die eisernen
Regeln der Wohnungswirtschaft konterkarieren könnte. Nicht ohne
Grund hält diese das Ideal der Aneinanderreihung möglichst vieler
gleichartiger Teile hoch. Das Ergebnis ist bekannt und plagt nicht nur
Soziologen und Städtebauer, sondern auch Bewohner. Doch vielleicht
geht es ja auch so, wie es die Holländer planen: Jede der 206 Woh-
nungen ist verschieden, und dennoch sind fast alle Bauteile gleich.
Resümee
Dieser Abhandlung liegt eine umfangreiche Untersuchung der euro-
päischen Forschungslandschaft des Wohnungsbaus zugrunde, welche
sich an dieser Stelle bewusst nur auf die allerwesentlichsten Merkmale
und Methoden des Wohnungsbaus in Mitteleuropa beschränkt. Der
Komplex der Ingenieur- und Sozialwissenschaften lag bewusst nicht
im Fokus dieser Arbeit. Besonders auffällig ist die Vielzahl ähnlicher, öf-
fentlich nanzierter Forschungsthemen, die auf den Verwaltungsaufbau
zurückzuführen ist. Auch ist nicht zu übersehen, dass die diversen Dis-
ziplinen die Möglichkeiten zum Wissenstransfer ganz unterschiedlich
sehen. Naturgemäß stehen öffentlich nanzierte Forschungsarbeiten
jedermann zur Verfügung. Auch gibt es bei den baukünstlerischen
Experimenten der Architekten keine Geheimnisse. Da der Schutz
durch das Urheberrecht ohnehin nur sehr beschränkt greift, besaß
die Architektengemeinde schon immer alle Merkmale einer offenen

Entwicklergesellschaft. Bleibt die Industrie, bei welcher naturgemäß
die Betriebsgeheimnisse existenziell sind, aber durch die Bildung von
Netzwerken der Wissenstransfer ermöglicht wird. Trotzdem wird von
der Möglichkeit, Synergien zu nutzen, nur in sehr beschränktem Um-
fang Gebrauch machen. Das ist doch sehr bedauerlich, da alle drei
Bereiche, die Öffentliche Hand, die Industrie und die Privaten, diesel-
ben Ziele verfolgen, nämlich den Bedarf früher als andere zu erken-
nen, um daraus schneller die richtigen Konsequenzen zu ziehen, um
frühzeitig die notwendigen Ressourcen bereitstellen zu können.
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Einführung
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WOHNBAUFORSCHUNG
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1. EINLEITUNG
„Zukunftshäuser“ steht als Überbegriff für Siedlungs-, Haus- und
Wohnkonzepte, die Impulse für das Wohnen und Leben der Men-
schen in ihrer jeweiligen Epoche geben oder sich als Experiment
verstehen. Diese Konzepte zeichnen sich durch einzelne innovative
Eingriffe oder durch ganzheitliche Maßnahmenpakete aus, die vom
jeweils üblichen baulich-konstruktiven, gestalterisch-konzeptionellen
oder energetisch-wirtschaftlichen Standard abweichen oder über ihn
hinausgehen.
Im Rahmen des Firmennetzwerks „Future Construction“ sowie des
„PerceptionLabs“ an der Detmolder Schule für Architektur und Innen-
architektur wird mithilfe der Szenariotechnik an der Entwicklung von
Haus- und Wohnkonzepten für die wichtigsten Zielgruppen der nächs-
ten Jahrzehnte gearbeitet – den Szenariohäusern. Eckpunkte und Kri-
terien für die Bewertung sind die Bedürfnisse, Wertvorstellungen, Le-
bensbedingungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des einzelnen

Menschen innerhalb der jeweiligen Zielgruppen. Ein Vorgehen, wie
es im Bereich der industriellen Planung und Fertigung schon lange
üblich ist. Szenariohäuser beschreiben Wohnen darüber hinaus in
Bezug auf die Faktoren Funktion, Konstruktion, Design, Kosten und
Umfeld. Wesentlich ist jedoch die nutzerorientierte Betrachtung von
emotionalen und atmosphärischen Aspekten und Qualitäten des
Wohnens und Bauens, die sich auf die menschliche Wahrnehmung
bzw. die Wirkung von Räumen, Objekten und Umgebungen auf den
Menschen fokussiert.
Die vergleichende Erfassung dieser Bewertungskriterien ist Aus-
gangspunkt für ein zukunftsgerichtetes Objekt- und Raumdesign und
eine daraus resultierenden Entwicklung und Identikation von markt-
nahen Strategien für Produkte in der Baubranche. Eine einleitende,
rückblickende Analyse von ausgewählten Wohngebäuden aus dem
19. und 20. Jahrhundert ist Ausgangspunkt für die Bewertung der heu-
tigen Konzeptionen sowie der zukünftigen Strategien.
2. VORGEHENSWEISE
2.1. Bewertungskriterien
Die vergleichende Beschreibung der ausgewählten Wohngebäude
des 19. und 20. Jahrhunderts hat zum Ziel, die Veränderungen und
Konstanten des Wohnens und Bauens sichtbar zu machen. Neben
beschreibenden Bewertungskriterien (z.B. Gebäudetyp, Bauweise,
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ZUKUNFTSHÄUSER DER VERGANGENHEIT –
WOHNKONZEPTE DES 19. + 20. JAHRHUNDERTS
Uta Pottgiesser
„Die Geschichte des Wohnens ist eine
Geschichte der Lebensentwürfe. Spe-
zische neue Lebensweisen verlangen
gegenwärtig nach einer Differenzierung

der Wohnformen. … Mehr denn je steht
heute der Wohnungsbau im Zentrum
einer am Experiment interessierten
Architekturdiskussion. Zahlreiche
architektonische Meisterwerke des
20. Jahrhunderts belegen das Ringen
um die entsprechenden Gehäuse für
einen neuen Lebensstil und den Kampf
um offenere Lebens- und Raum-
organisationen.“
Aus: „40 europäische Wohnikonen neu
gesehen“

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